Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 22 of 45)

15.06.2016, Bambi Galore, Hamburg: NERVOSA + REZET + KILLBITE

nervosa + rezet + killbite @bambi galore, hamburg, 20160615

Brazil’s finest in Sachen Thrash sind für mich momentan die Mädels von NERVOSA, die gerade ihr zweites Album „Agony“ veröffentlicht haben. Letztes Jahr hatte ich sie erstmals im Rock-Café St. Pauli gesehen (und mich direkt – wie vermutlich jeder Anwesende – ein bisschen in Bassistin/Shouterin Fernanda verknallt), dieses Jahr verschlug es sie nach Billstedt in Hamburgs geilste Metal-Butze. Den Anfang machen die Bremer KILLBITE, die ‘ne Mischung aus Crust und metalbeeinflusstem Hardcore zocken und vom aufgeschlossenen Publikum recht gut aufgenommen wurden. Der Shouter ging etwas auf Tuchfühlung, indem er auch mal die Bühne verließ und die ganze Band wirkte sympathisch und hochmotiviert. Kein schlechter Stoff!

Mit den Schleswigern REZET glaubte ich im Vorfeld, eigentlich weniger anfangen zu können. Auf eine Empfehlung hin hatte ich mir das jüngst veröffentlichte dritte Album „Reality is a Lie“ einmal angehört und konnte mit dem early-MEGADETH-beeinflussten Sound wenig anfangen. Live allerdings zog man nicht nur kräftig vom Leder, sondern auch ordentlich die Wurst vom Teller, so dass ich der Faszination der technisch anspruchsvollen, dennoch herrlich aggressiven Kompositionen mit dem recht eigenständigen, angepissten Organ Richtung Mustaine zu Demo-Zeiten immer mehr erlag. Ich werde mich noch mal in Ruhe mit der Diskografie der Band auseinandersetzen müssen und diesmal mit dem alten Material anfangen. Zugegebenermaßen liefen mir damals MEGADETH auch nicht gleich rein und musste ich mich erst mal an den Stil gewöhnen. Der Bombensound im Bambi wird seinen Teil zum positiven Gesamteindruck beigetragen haben und größere Teile des Publikums gingen längst steil.

Nach einem weiteren Bierchen an der frischen Luft und ’nem Klönschnack mit den TORTENSCHLACHT-Mädels, die eigens aus Rostock angereist waren (obwohl sie NERVOSA ein paar Tage zuvor bereits in Rostock gesehen hatten), betraten Prika Amaral, Fernanda Lira und Pitchu Ferraz die Bühne, um nach kurzem Linecheck das Tor zur Hölle aufzustoßen. Anfangs musste der Sound, insbesondere die Lautstärke des Basses und des Gesangs, noch kräftig nachjustiert werden, doch ab dann blies der Oldschool-Thrash des Trios ungetrübt durch die Gehörgänge. Atmosphärisch erinnerte mich der spezielle Klang, der an diesem Abend erzeugt wurde, in Verbindung mit der düsteren Lightshow an die Atmosphäre des SODOM-Erstlings „In the Sign of Evil“ – jedoch beherrschen NERVOSA ihre Instrumente weitaus besser als Angelripper & Co. damals. Trotz ihrer herrlich morbiden Ästhetik verstehen sich NERVOSA vornehmlich auf ernstzunehmende No-Bullshit-Lyrics und Fernanda mit ihrem gleichsam akzentuierten wie von Growls, Fauchen und Gekeife durchsetzten Gesang schreit und brüllt auf der neuen Platte gefühlt noch mehr als auf dem Debüt, dass es die reinste Freude ist, nur um live Sekunden später ihr entwaffnendes Lächeln aufzusetzen und fröhlich und entspannt mit dem Publikum zu kommunizieren. Allgemein knallt der neue Langdreher noch stärker als der erste, live kam Material beider Alben zum Zuge. Vom Demo spielte man leider nur „Masked Betrayer“, der Hammer wäre natürlich „Invisible Oppression“ gewesen. Ansonsten gab’s absolut nix zu mäkeln, das war großes Thrash-Kino! Fernanda riss mitten im Set übrigens eine Basssaite, was den weiteren Verlauf jedoch nur unwesentlich verzögerte. Ein großer Wermutstropfen war für mich, dass ich mich mit meinen frischen Beintattoos vom Vortag auf gar keinen Fall in den Pit stürzen oder nach vorn drängeln konnte, so dass ich mich vornehmlich im Hintergrund aufhielt. Deutlich gewachsen ist die Band, was sich an der vergrößerten Anhängerschaft ablesen lässt. Im Rockcafé letztes Jahr war noch wesentlich mehr Platz, diesmal war die Bude auch an einem Mittwochabend fast voll. Und wie ein Bekannter so schön bemerkte, schienen sich die Alpha-Banger gegenseitig darin übertreffen zu versuchen, die Mädels auf der Bühne zu beeindrucken. 😉 Leider schlugen am Merch-Stand LP und T-Shirt mit je 20,- EUR zu Buche, was mir dann doch etwas zu viel war, hatte ich doch auf Preise um die 15 Taler gehofft, immerhin atmen NERVOSA wesentlich stärker den guten alten D.I.Y.-HC- und Punk-Spirit als den Kommerz-Metal-Geschäftssinn. Nichtsdestotrotz war das Vinyl schnell vergriffen und evtl. war’s auch ‘ne Mischkalkulation, um den Eintrittspreis niedrig zu halten, der lag nämlich bei lediglich 8,- EUR! Das Timing passte perfekt, direkt nach dem letzten Scream, Akkord und Beat bekam ich noch die letzte Bahn nach Hause, Zugaben waren anscheinend ohnehin nicht eingeplant – auch meinerseits nicht, wenngleich ich mir vorsorglich den nächsten Tag freigenommen hatte. Man lernt ja dazu… Ich hoffe, NERVOSA beehren Hamburg bald wieder, denn momentan könnte ich mir die locker mehrmals pro Jahr geben.

P.S.: Leider auch hier keine vernünftigen Fotos, ist echt schlecht aus den hinteren Reihen…

11.06.2016, Monkeys Music Club, Hamburg: DEMENTED ARE GO + HOLSTEIN ROCKETS + RUSTY ROBOTS

demented are go + holstein rockets @monkeys music club, hamburg, 20160611

Subkulturelles Überangebot in Hamburg, die Drölfzigste: EMILS im Menschenzoo, FAT FLAG und SPIKE im Hafenklang, der zweite Tag des Gaußfests und das war bestimmt längst nicht alles… Ich beschloss, an diesem Abend mal wieder meine ‘billy-Quote zu erhöhen, zumal DEMENTED ARE GO mit ihrer dreckigen Zombie-Interpretation des Psychobillys wohl zum geilsten gehören, was das Genre zu bieten hat. Zunächst galt es aber, das Spiel der Engländer gegen die Russen im Pub-Bereich zu verfolgen, weshalb ich die RUSTY ROBOTS lediglich als Hintergrundbeschallung vernahm. Was ich hörte, war aber nicht verkehrt, hörbarer Rockabilly mit Surf-Vibe. Nach Abpfiff des für die Briten enttäuschenden 1:1 konnte ich mir dann noch den Großteil des HOLSTEIN-ROCKETS-Sets geben, die klasse Rockabilly mit deutschen Texten zockten. Wenn ich so’ne klassisch-betollten Typen sehe, muss ich ja immer an die kultverdächtigen „Vorstadtgang“-Comics um Lucien & Co. denken. Blickfang war aber die schnieke Drummerin im ‘50s-Look mit Schiffchen auf dem Kopf, die an ihrem minimalistischen Kit im Stehen einen satten Beat kredenzte und dabei stets übers ganze Gesicht strahlte. Stilecht klackerte wie bei allen Bands des Abends der Kontrabass dazu. Das war alles angenehm kurzweilig und ging gut ins Bein, ein paar eingedeutschte Coverversionen werden auch dabei gewesen sein. Gute Band, die mich positiv überrascht hat!

Dann DEMENTED ARE GO im längst sehr gut gefüllten Club. Keine Ahnung, wann ich die zuletzt gesehen hatte. Irgendwie mache ich mir nicht mehr sonderlich viel aus Psychobilly, noch weniger als früher. Meine zwei, drei DAG-Platten hab‘ ich trotzdem im Schrank – und dieser Gig hat’s dann auch locker geschafft, mich wieder anzufixen! Bei Spitzensound ging’s von der ersten Minute an rund, ein amtlicher Pit bildete sich und der überwiegende Teil der Besucher feierte die Band um Sänger Sparky mit seiner charismatischen, kaputten Stimme frenetisch ab. Dieser trug übrigens keinen Flat mehr, sondern punkigen Struwwel-Look und war natürlich genau wie die Bandkollegen komplett auf Zombie geschminkt. Zusammen mit diesem visuellen Element legt die Mucke tatsächlich noch mal an Atmosphäre zu und erfreulicherweise war die Band topfit, Sparkys Stimme ebenfalls zu 100% präsent und ließ man sich auch spielzeittechnisch nicht lumpen: Das mit vielen Höhepunkten seit den 1980ern bestückte Set wurde um mehrere Zugaben ergänzt! Das hatte ich so nicht erwartet, fragte mich stattdessen im Vorfeld, was DEMENTED ARE GO 2016 wohl noch zu bieten hätten. Die Antwort: So ziemlich alles. Manch einer soll sogar behaupten, sie seien heutzutage live so gut wie nie zuvor. Überhaupt, der Sound: Ordentlich Hall, Pfeffer im Arsch, manch geiles Gitarrensolo, bisweilen auch nur kurz angetäuscht, um schnell wieder in den Untiefen der dominanten Rhythmussektion unterzutauchen. Das gefällt mir deutlich besser als der x-te MISFITS-Klon und hat für mich mehr mit vertonter Horror-Ästhetik zu tun als manch fast schon poppige Hochglanz-Combo. Zum Line-Up zählt übrigens offenbar ein Deutscher, wie der Kommunikation mit dem Mischer zu entnehmen war. Nachdem ich mich zunächst eher im Hintergrund aufgehalten hatte, zog’s mich später, nachdem der Wrecking-Pit schon etwas entkräftet war, dann doch nach vorne zum Feiern, was auch nach dem letzten Akkord noch lange nicht beendet wurde: Zu viele alte Bekannte waren vor Ort, hatten teilweise auch noch Geburtstag und so wurde noch das eine oder andere Bierchen gekippt und viel Blödsinn verzapft, bis die Putzbeleuchtung anging und der Getränkeverkauf eingestellt wurde. Ein grandioser Abend!

10.06.2016, Gaußplatz, Hamburg: GAUSSFEST 2016

gaußfest,-hamburg,-2016

Ist schon blöd, wenn man sich immer noch nicht klonen, schnell mal per Zellteilung vermehren oder sonstwie dafür sorgen kann, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. So wurde ich dem diesjährigen Gratis-Open-Air auf dem Altonaer Gaußplatz kaum gerecht, denn gleichzeitig fiel in Frankreich der Startschuss zur Fußball-EM. Arbeitsbedingt etc. verpasste ich direkt das erste Highlight, einen der ersten Gigs der Hamburger Punks LIQUOR SHOP ROCKERS, der neuen Band um ex-LEFT-JAB-Weste, ex-RECHARGE-Nina, SWELLBELLYS-Needlz und ex-STONE-COLD-BLACK-Toni. Wüsten, dreckigen Punk’n’Roll sollen die zocken und ein paar private Amateuraufnahmen klingen verdammt vielversprechend. Dafür bekam ich den Großteil des UPPER-CRUST-Sets mit, der Hamburger HC-Punk-Band, die sich jüngst in Person Lars‘ Bruders um einen Shouter verstärkt hat. Dadurch ist deutlich mehr Action auf der Bühne und stimmlich passt’s auch prima, zudem macht der Gute einen hochmotivierten, hungrigen Eindruck. In Kombination mit dem Gaußplatz-Sound klangen UPPER CRUST an diesem Abend noch krachiger und ungehobelter als sonst und wie so oft war Basser und Zappelphilipp Jörg ebenfalls ein großer Aktivposten, der sich zudem die Flossen blutig gespielt hat. Mit den norwegischen Riot Grrrls LUCKY MALICE verpasste ich dann schweren Herzens einen weiteren Höhepunkt, aber das Eröffnungsspiel lockte und stellte sich tatsächlich als spannender Turnierauftakt heraus. Auf dem Platz schien’s niemand zu schauen, also begab ich mich mit meiner Begleiterin ins angrenzende Vivo, wo sich das Spiel gediegen verfolgen ließ. Als wir zurückkehrten, lärmten dann noch DIS DISASTER aus Berlin und Tel Aviv ihren disigen HC-Punk-Stiefel herunter – und sahen so ganz anders aus als zuletzt: Corpsepaint in den Fressen und ‘ne Dame auf der Bühne?! [Nachtrag: Ich Schussel, na klar, die war auch schon damals in der Lobusch dabei!] Bedeutete das dieses „& FREAKAHOLIC“ auf dem Flyer? Keine Ahnung, aber danach war leider auch schon Schluss, natürlich nicht, ohne im Anschluss noch ein paar Veltins zu unschlagbaren Preisen zu pitschen und sich ins eine oder andere Gespräch verwickeln zu lassen, immerhin war der Platz wieder gut gefüllt mit Punks und anderen Freaks aus ganz Deutschland. Fast leidtun konnte einem der arme Tropf, der den Wagen seines Gastgebers einfach nicht mehr wiederfand und irgendwann resigniert neben uns Platz nahm, was mich an die eine oder andere Zeltplatz-Odyssee auf Festivals erinnerte.

Am nächsten Tag musste ich dann komplett passen und vernünftige Fotos gibt’s diesmal auch nicht, sorry…

04.06.2016, Tipsy-Apes-Vereinsgelände, Hamburg: SOURCE OF STEEL Festival

source of steel 2016, hamburg

source-of-steel-2016,-hamburg,-20160604_154746Bei den Tipsy Apes scheint es sich um einen Hamburger Metal-Club zu handeln, den es schon seit Anbeginn der Zeitrechnung gibt. Einmal jährlich richtet er auf seinem Gelände in Hamburg-Harburg ein Open-Air-Festival für ‘nen recht schmalen Schein aus und dieses Jahr war ich erstmals dabei. Kurzentschlossen hatte ich nämlich Bock bekommen, an diesem mal wieder vielleicht heißesten Tag des Jahres tagsüber etwas an der frischen Luft zu unternehmen und statt in den Zoo, in Wald und Flur oder an den Strand fuhr ich nach Harburg, fand dank zwei Besuchern, die mit mir aus dem Bus ausstiegen auch gleich den Weg und war sogar fast pünktlich.

So bekam ich noch den Großteil des Sets des Openers EMPIRESFALL mit. Die Hamburger haben 2009 ihre Debüt-EP und 2014 ein erstes Album jeweils in DIY-Manier veröffentlicht und spielen schnörkellosen, rauen Thrash. Was für meine Ohren zunächst noch etwas gleichförmig klang, gewann mit fortlaufender Spielzeit an Klasse – hatte man sich die Hits für die zweite Hälfte aufgehoben? Gefiel mir gut, wenn ich meine Aufmerksamkeit auch zu ein paar Anteilen aufs Begrüßen bekannter Gesichter, Erstehen von Bierbons und Vertrautmachen mit der Location verteilte.

Nach der Umbaupause folgte einer der Hauptgründe für mein persönliches Erscheinen, die Hamburger Nachwuchs-Thrash-Hoffnung REAVERS. Die Dame und die Herren spielen ja doch öfter mal in Hamburg, aber in die Pooca-Bar z.B. verschlägt’s mich dann doch eher nicht – umso besser, sie in diesem Rahmen oder auch in Kürze in der Bambi Galore endlich mal wieder zu sehen (war mir bisher nur einmal im Marx vergönnt). Auch im wahrsten Sinne des Wortes nüchtern betrachtet ging der Oldschool-Thrash gut ins Bein. Der bewegungsfreudige Sänger und Bassist Klitz lieferte ‘ne ungestüme Show, der barfüßige Drummer hat sich manch Sperenzien und Details einfallen lassen, um auch die Rhythmusarbeit aufregend zu gestalten und die beiden Gitarren rifften amtlich, wenngleich hier und da vielleicht noch Raum für etwas mehr Leadgefiedel wäre. Songtitel wie „Sleeping Toxic“, „Artillery Death“ und „Madness“ lassen auf die nie überholten Themen Krieg, Wahnsinn und Verderben schließen, „Fire in the Hole“ entpuppte sich als deutschsprachiger und mehrdeutiger Song über Krieg und Analverkehr… und zum finalen TANKARD-Cover „Freibier“ gesellten sich EMPIRESFALL mit auf die Bühne, die Klitz seinen Bass abnahmen und kräftig beim Freibierverteilen ans durstige Publikum halfen – geile Aktion!

BOOZE CONTROL war dann die erste Band mit ein wenig weiterer Anreise: Das Quartett stammt aus Braunschweig und überzeugte mit klassischem Heavy Metal, zu dem ich jetzt gar nicht so viel sagen kann, außer dass er zu gefallen wusste, hatte man sich nach der doppelten Thrash-Attacke erst mal auf den Sound eingegroovt. Das „Angel Witch“-Cover lud zum kollektiven Mitsingen ein und sorgte zusätzlich für beste Laune. Guter Gesang, Songs mit Ecken, Kanten und Melodie und ‘ne sympathische Attitüde – schönes Ding!

Das Gelände, das bisher noch weitaus mehr Leuten Platz geboten hätte, füllte sich während des BLACKSLASH-Auftritts nun auch langsam aber sicher mit den Spätaufstehern unter den Festivalbesuchern. Der Sänger der Baden-Württemberger sah mit seinem verbotenen Outfit verdächtig nach Poserrotz aus, doch der Sound erinnerte mich vielmehr an eine weniger punkige, melodieorientiertere NWOBHM-Variante mit Power-Metal-Einflüssen – und ich hoffe, mich damit jetzt nicht in den Schubladen vergriffen zu haben. Die fünf Jungs posten, was das Zeug hielt, die gute alte Doppelläufige kam oft zum Einsatz und die für solch ein Festival großzügig bemessene Spielzeit ließ sogar Zeit für ‘ne Ballade. Das war besser als erwartet und mir dämmerte, dass sich hier und heute eine handverlesene Crème de la Crème des Underground-Metals quer durch den stilistischen Gemüsegarten entdecken lässt.

Die anschließend auf dem Plan stehenden MESSERSCHMITT aus Remscheid standen mit ihrem Kabinenroller leider im Stau und verspäteten sich deshalb, so dass die nächste Pause etwas länger ausfiel. Zeit für geschmackvolle Mucke vom Band, ausgiebige Klönschnacks und noch mehr Bier. Letzteres machte sich nun gerade auch im Zusammenhang mit der Affenhitze langsam aber sicher bemerkbar und vermutlich hätte ich in diesem Zustand schlicht alles abgefeiert, was ‘ne Klampfe schrammeln kann. Ich habe aber den instinktiven Verdacht metaphysischen Charakters, dass mir MESSERSCHMITTS wüstes Speed-Riffing auch unter normalen (?) Umständen die Nackenmuskeln trainiert und meine No-Bullshit-Straight-In-Your-Face-Geschmacksknospen aufblühen lassen hätte. Die Stimmung war mittlerweile allgemein ausgelassen, zur generellen Entspanntheit der Anwesenden gesellte sich in zunehmendem Maße Feierwut. Die Band um ihren Sänger/Gitarristen im Cliff-Burton-Gedächtnislook konnte sich in Sachen Show auf ihren Detlev-Buck-Lookalike am Viersaiter verlassen, der allgemein der Publikumsliebling der Band zu sein scheint. Den Schalk im Nacken bewies dieser auch, als er irgendwann sein geschmackssicheres IRON-KOBRA-Shirt gegen ein HSV-Trikot tauschte, was natürlich völliger Quatsch ist. Das bisher einzige Album der Band werde ich auf jeden Fall mal antesten und die MESSERSCHMITT-Shirts im Publikum bewiesen, dass nicht wenige genau auf diese Band gewartet hatten.

Mein zweiter Hauptgrund fürs Partyzipieren war hingegen IRON KOBRA. Nach diversen EPs etc. sowie zwei Studioalben hatte ich locker meine Handvoll Hits zusammen, die mich neugierig auf ‘nen Gig der Gelsenkirchener werden ließ. Das Image der Heavy Metal mit Power- und Epic-Metal-Einflüssen spielenden Band erscheint mir zwar reichlich klischeebehaftet und das Augenzwinkern konnte ich weder auf den Promofotos noch in den Texten bisher entdecken, habe aber auch gar nicht danach gesucht. Wie wurscht mir das tatsächlich sein kann, bewies dieser durchgehend arschtretende Gig, der auch ohne aufwändige Bühnenshow oder sonstiges Klimbim großes Metal-Entertainment bescherte und genau die Mischung aus Härte und Melodie, aus Düsterheit und Okkultismus, aus Pathos und Kitsch zelebrierte, die die klassische Metal-Szene seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue begeistert. Ich raiste meine Fist „for the glory of Isengard“ (wo auch immer das liegt) und bangte zu Zeilen wie „Black magic spells, dark wizards break lose, satanic Blitzkrieg strikes, doomsday!“ – hell fuckin‘ yeah! Und mit ein paar Litern Astra im Astralkörper macht’s gleich doppelt so viel Spaß.

Aber einer ging noch: Die Wedeler METAL WITCH, die’s mit Unterbrechung schon ewig gibt und sich trotz nur eines Longplayers eines außerordentlich gutes Rufs in der lokalen Szene erfreuen, luden zum Hexentanz und der Pöbel leistete willig Folge. Ich muss zugeben, mich nicht mehr wirklich an den Auftritt, in dessen Rahmen abermals Freibier gereicht wurde, erinnern zu können und vernünftige Fotos habe ich auch keine mehr hinbekommen. Ich weiß aber, dass die Party auf ihrem Siedepunkt angelangt war, der klassische Teutonen-Metal mit seinen eingängigen Refrains noch einmal zum kollektiven Durchdrehen einlud und so viel euphorisierendes Adrenalin freisetzte, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Besucher auch die Aftershow-Party noch mitnahm.

Fazit: Ein durch und durch gelungener Tag, Abend, Nacht. Zu meiner positiven Überraschung war kein einziger Ausfall dabei, ich konnte tatsächlich allen Bands etwas abgewinnen, für die Auswahl hatte man ein gutes Händchen entwickelt. Bis auf eine kurze Rauferei blieb alles friedlich, das Publikum war gut aufgelegt und die Organisatoren, soweit ich’s mitbekommen habe, ‘ne lockere, sympathische Bande, die auch schon mal Pyros vom Bühnendach zündete. Als echte Party-Animals erwiesen sich auch EMPIRESFALL, von denen irgendwie ständig jemand auf der Bühne rumsprang und den Musikerkollegen Bier einflößte. Die günstigen Preise luden ein, es besonders kräftig krachen zu lassen (als ein Bekannter von mir auch noch den Ausschank übernahm, war’s aus mit mir) und das vegane Chili war schmackhaft – wenn man anscheinend auch überrascht war, dass das tatsächlich jemand bestellt. So war nun wirklich für alles gesorgt. Danke ausnahmslos ALLEN Beteiligten für diese feiste gotteslästerliche Sause, die bewies, wie lebendig und vielfältig die Szene ist. Ich drohe hiermit an, nächstes Jahr wiederzukommen – dann vielleicht mit THRASHING PUMPGUNS, SHADOWBANE oder MORBITORY?

21.05.2016, Schießsportanlage, Neu Wulmstorf: METAL BASH 2016

metal bash 2016

Das eintägige Metal-Bash-Open-Air-Festival im ansonsten eher überflüssigen Nest Neu Wulmstorf vor den südlichen Toren Hamburgs gibt’s nun auch schon ‘ne ganze Weile. Für vergleichsweise kleines Geld lassen sich dort 1x jährlich vergleichsweise kleine Metal-Bands vor vergleichsweise kleiner Kulisse betrachten. Bisher war jedoch selten etwas für mich dabei, außerdem hab‘ ich für gewöhnlich wenig Bock auf die KNEIPENTERRORISTEN/Remedy-Records-Connection, die der Organisation durch Jörn Rüter geschuldet ist – diesen ganzen ONKELZ-Cover-/Rip-Off-Zinnober braucht meines Erachtens kein Mensch.

Nun war ich auch gerade erst vom Rock-Hard-Festival zurück und dennoch kribbelte es schon wieder: Wenn VENOM INC. als Headliner nur ein Dorf weiter das Tor zur Hölle aufstoßen, kann ich schlecht einfach zum Alltag übergehen. Andererseits dafür ein ganzes Festival mitnehmen müssen…? Außerdem spielten EAT THE BITCH im Gängeviertel und das wäre meine Chance gewesen, die endlich mal live zu begutachten. Aber die britischen Satansbraten und Black-Metal-Hooligans von VENOM zählen seit jeher zu meinen absoluten Leib-und-Magen-Bands und nachdem mir letztes Jahr erstmals das Privileg zuteilwurde, Original-VENOM-Shouter und -Bassist Cronos mit seiner aktuellen Auslegung der Band live zu sehen, boten sich nun die konkurrierenden VENOM INC. mit den beiden anderen Originalmitgliedern Abaddon und Mantas an, verstärkt um Demolition Man Tony Dolan. Dieser war Ende der ‘80er von ATOMKRAFT zu VENOM gekommen, um Cronos nach dessen damaligen Ausstieg zu ersetzen und drei Alben aufzunehmen, von denen zumindest das erste, „Prime Evil“, wirklich geil ist. Dolan hatte sich vor einigen Jahren wieder mit Mantas zusammengetan und die Band PRIME EVIL gegründet, die kurze Zeit später in M:PIRE OF EVIL umbenannt wurde und live vor allem damit begeisterte, alte VENOM-Klassiker zu zocken, während CRONOS unter dem VENOM-Banner diverse neue Alben veröffentlichte und live seitdem sowohl neue als auch alte Gassenhauer gut durchmischt interpretiert. Während des M:PIRE-OF-EVIL-Auftritts auf dem „Keep It True“-Festival 2015 wurde der Drummer durch Abaddon ersetzt und VENOM INC. waren geboren.

Hätte ich diese Gelegenheit nicht wahrgenommen, hätte sich vermutlich mein VENOM-Tattoo entzündet und so bin ich relativ spontan ab aufs Dorf zum Schützengelände, habe 35 Taler an der Tageskasse gelatzt – und hatte durch mein „spätes“ Erscheinen gegen 14:30 Uhr bereits eine nicht geringe Anzahl Bands verpasst (ging wahnsinnigerweise schon zu nachtschlafender Zeit um 11:00 Uhr los), darunter leider SHADOWBANE, Hamburgs von mir live einst in der Bambi Galore für hörenswert befundene Power-Metal-Hoffnung. Auf der Bühne lärmte gerade die Black-Metal-Combo THE COMMITTEE, doch ich holte mir erst mal ‘n Bierchen und gesellte mich abseits der Wiese zu einer kleinen Sabbelrunde. Dort verweilte ich auch während des Auftritts der DRUNKEN SWALLOWS, die ihren Stil selbst gern als Punkrock bezeichnen, für mich aber nach lupenreinem Deutschrock-Krempel klingen und offenbar auch keinerlei Berührungsängste mit jener Szene haben. Das RAMONES-Cover „Pet Sematary“ klang aber zugegebenermaßen ganz amtlich. Während der Umbaupausen spielten im Bierzelt die Deutschrocker EXISTENT und die erwähnten Proll-ONKELZ-Nacheiferer KNEIPENTERRORISTEN Akustik-Sets… Prinzipiell ja sogar eine nette Idee, die Pausen mit solchen Unplugged-Geschichten aufzulockern, auf beide Bands verzichte aber dankend.

Zu SPACE CHASER ging’s dann aber kollektiv vor die Bühne. Der Thrash Metal der jungen Berliner Band erfreut sich szeneintern größerer Beliebtheit, mit ihrem hohen Gesang erinnern sie mich stark an eine Mischung aus AGENT STEEL und OVERKILL. Für ihr Alien-Paranoia-Image scheinen sie sich auch recht ungeniert bei erstgenannten bedient zu haben, dürften aber die John Cyrus seinerzeit anscheinend abgegangene ironische Distanz mitbringen. Der Gig machte schon Spaß, was mir jedoch live wie auf Platte fehlt, sind die wirklich zwingenden, im Gedächtnis bleibenden Songs. Am ehesten blieb noch ein Song über Chemtrails hängen; leider weiß ich nicht, wie der heißt. Die Festival-Besucher hatten ihren Spaß und bildeten ‘nen Circle- und einen kleinen Mosh-Pit. Als Besonderheiten sind mir ein Instrumentalstück und das IRON-MAIDEN-Cover „Aces High“, gar nicht schlecht gespielt, in Erinnerung geblieben.

Die Schweinerocker NITROGODS ignorierte ich weitestgehend und bald stießen auch weitere lokale Bekannte hinzu, was erst mal begossen werden musste. Der persönliche Austausch gestaltete sich für beide Seiten dann auch interessanter als das, was SYNDEMIC da gerade auf der Bühne fabrizierten. Dann galt es auch noch MOTÖRMENT zu überstehen, Rüters Metal-Band TORMENT mit einem reinen MOTÖRHEAD-Coverset – und genauso wenig wie ich ihn ONKELZ-Songs singen hören will, brauche ich, dass er sich an Lemmy & Co. vergreift. Langsam aber sicher wurd’s wirklich ein hartes Brot und mir fiel auch kaum noch etwas anderes ein, als mir das Spektakel schönzusaufen – bzw. es zumindest zu versuchen. Dafür boten sich übrigens das erwähnte Bierzelt mit Tresen des Kiez-Metalschuppen „Night Light“, wo es Astra und Holsten gab oder einzelnen Bierstände, an denen überall Astra dranstand, aber stattdessen Carlsberg ausschenkten ebenso an wie der viel zu spät entdeckte Weizenbierstand. Ein 0,3-Liter-Becher Pils schlug mit 2,50 EUR (plus 1,- EUR Pfand) zu Buche und war aber mal so was von schnell ausgeschluckt… Leider musste man für die Dinger erst Bierbons am Einlass erstehen und ich hab‘ doch tatsächlich die Meisterleistung vollbracht, einen frisch gekauften Zehnerbogen auf den wenigen Metern von dort zum Tresen zu verlieren. Naja, dumm fickt gut.

PARAGON, hieß es, seien dann wieder wesentlich erträglicher, so dass ich zarte Hoffnungen hegte, doch mehr als reichlich bemüht klingender, ausgelutschter Power Metal der nervigeren Sorte hatten mir die Hamburger auch nicht zu bieten. Not my cup of pee. Apropos, bei allem Gemeckere Daumen hoch für die Klos: Von reichlichen Dixies über Pissoir-Rondells bis hin zum richtigen WC-Toilettenwagen inkl. Seife und Papierhandtüchern war für jeden was dabei. Ich erwähne so etwas immer, weil ich gerade von vor noch gar nicht allzu langer Zeit weiß, dass das nicht unbedingt selbstverständlich auf Open-Air-Veranstaltungen ist.

Bei übrigens klasse Wetter setzte nun die Abenddämmerung ein und es galt, nur noch einmal Bierzelt-Deutsch-Schmock zu überstehen, bis endlich der verdiente Headliner die Bühne erklimmen und original fucking old school Black Metal in seiner pursten Form durch meine Membranen prügeln würde. Ich sicherte mir ‘nen Platz ganz vorn an der Absperrung und direkt mit dem ersten Song schoss meine Laune von 0 auf 666! Die Drei hatten offenbar heimlich geübt, sahen trotz ihres Alters topfit aus und gebärdeten sich auch so. Dolans grummelige, raue Stimme passt nach wie vor bestens zu dieser Mucke, Mantas ohne Schnurri, dafür mit Tattoos und zusammengebundenen Haaren post noch immer was das Zeug hält und Abaddon an den „Nuclear Warheads“, wie es früher auf den Platten stand, sorgt für den verfickt originalen VENOM-Beat! Scheiße, ja, hier war ich dann doch verdammt noch mal richtig! Ich weiß nicht, wie viele kühle Blonde ich mir als Tribut an den „Gods‘ Rock’n’Roll“ noch reinpfiff, jedenfalls fand‘ ich immer wieder nach vorn zurück und krakeelte, skandierte und bangte, was das Zeug hielt (und schoss schiefe Fotos). Auch ‘ne Pyroshow hatte man auf der kleinen Bühne aufgefahren, die zu ‘nem VENOM-Gig einfach dazugehört. Einen Klassiker nach den anderen blies man in den mittlerweile schwarzen Nachthimmel und ließ sich auch in Sachen Zugaben – eröffnet mit dem genredefinierenden „Black Metal – nicht lumpen. Aufgrund des irgendwann nicht mehr ganz kontrollierten Bierkonsums in praller Sonne, dem Höchstgrad meiner Euphorisierung und dem Adrenalin, das mir dank VENOM INC. aus allen Poren schoss, muss ich zugeben, „Details“ wie die Setlist nicht mehr löschresistent auf meiner Hirnfestplatte gespeichert zu haben. Ich weiß, dass der Titeltrack des „Prime Evil“-Albums dabei war. Aber wurden noch weitere Songs der eigentlichen Dolan-Ära gespielt, evtl. „Blackened are the Priest“? Irgendetwas klingelt da bei mir, oder verwechsle ich das mit dem „Live ‘90“-Video? Und warum in Dreiteufels Namen brüllte ich (zwischendurch? am Ende?) plötzlich „ATOMKRAFT! ATOMKRAFT!“? Ich weiß es nicht mehr…

Verbrieft ist jedoch, dass ich mir anschließend einen Bekannten schnappte, mit ihm ein Taxi kaperte und wir unsere private After-Show-Party in meiner Höhle bei Musik-DVDs zelebrierten. Wir fingen ganz stilvoll mit IRON MAIDEN an und landeten über D.R.I. schließlich bei GG ALLIN & THE MURDER JUNKIES, was den Niveauverlauf ganz gut dokumentiert. Wir sind eben „evil – in league with Satan!“

13.-15.05.2016, Amphitheater, Gelsenkirchen: ROCK-HARD-FESTIVAL 2016

rock-hard-festival_2016

Nachdem ich letztes Jahr erstmals dem Rock-Hard-Festival in Gelsenkirchen beigewohnt hatte und doch ziemlich begeistert gewesen war, stand mein diesjähriges Erscheinen im Prinzip ab dem Moment fest, in dem das Teutonen-Thrash-Triple aus TANKARD, DESTRUCTION und SODOM bestätigt wurde. Und da Pfingsten dieses Jahr auf einen früheren Termin fiel, war noch nicht mal ein Jahr vergangen, seit ich zuletzt meine erste Urlaubswoche genommen hatte, zu deren Auftakt ich mich vom Arbeitsstress und Alltagstrott erholte, indem ich mir den Schädel von einer Überdosis Metal freiblasen ließ. Auf Zelten habe ich dekadenter Spießer immer noch keinen Bock und lasse mich immer noch gern chauffieren, also hab’ ich mir wieder ein einfaches Zimmer genommen und Blablacar für ’ne Mitfahrgelegenheit konsultiert – und los ging’s ausgerechnet am Freitag, dem 13. in aller Herrteufelsfrühe. Mein Aberglaube musste also zurückstecken und tatsächlich hatte mein Fahrer einen Bleifuß drauf, der mich eigentlich viel zu früh in Schalke-City ablieferte. Die Zeit bis zur Schlüsselübergabe vertrieb ich mir bei bestem Wetter mit ’nem Spaziergang durch die herrlich abgerissene Gegend voller Pottcharme, bezog schließlich mein Zimmer mit Pferdebild an der Wand und Blümchenbettwäsche und machte mich rechtzeitig auf den zwischen vier und fünf Kilometer langen Weg zum Festivalgelände, den ich bewusst zu Fuß antrat – führt er doch die meiste Zeit einen idyllischen Wanderweg den Rhein-Herne-Kanal entlang. Wann hab’ ich sonst mal Zeit für so etwas?

Am Amphitheater, nicht zu Unrecht als eine von Deutschlands schönsten Open-Air-Festival-Örtlichkeiten bezeichnet, angekommen, reihte ich mich zur Bändchenausgabe ein und wie üblich ging’s angenehm flott, so dass ich pünktlich zum lokalen Opener SULPHUR AEON das Halbrund betreten konnte. Diese zockten atmosphärischen Black Death oder so mit der Extraportion Hall und obwohl eigentlich auf Triogröße reduziert, standen da ein, zwei Leute mehr auf der Bühne. Zellteilung oder Mietmusiker?

Im direkten Anschluss traf ich Bekannte aus Hamburg und so gesellte man sich auf die noch reichlich Platz bietenden Stufen, um entspannt die Schweden YEAR OF THE GOAT über sich ergehen zu lassen. Deren Okkult-Rock war mir dann aber zu entspannt und lahmarschig – vielleicht sind die Qualitäten der Band einfach zu okkult (im Sinne von „verborgen“) für mich…

Trotz ihres ebenso schlichten wie ergreifenden Bandnamens haben die Briten SATAN mit Okkultrock nichts an den Matten, sondern zocken seit ihrer Gründung 1979 astreinen NWOBHM. Die Bandgeschichte indes liest sich etwas chaotisch, auf Umbesetzungen an entscheidenden Positionen wie dem Gesang folgten Umbenennungen in BLIND FURY und PARIAH und irgendwann die komplette Auflösung. 2013 meldete man sich jedoch mit dem starken Comeback-Album „Life Sentence“ zurück, eine Liveplatte und das jüngste Album „Atom by Atom“ folgten, Liveauftritte wurden umjubelt. Insbesondere das Debütalbum „Court in the Act“ aus dem Jahre 1983 hat einen dicken Stein bei mir im Brett und auch das neuere Material lohnt einer intensiveren Betrachtung, knüpft es doch genau dort an. Ich war sehr gespannt auf den Gig, wurde jedoch zunächst Ohrenzeuge eines typischen Festivalproblems: Die Band startet mit einem Hammersong in ihr Set, doch der Sound ist noch gar nicht vernünftig abgemischt, so dass der Effekt irgendwie verpufft. In diesem Falle erwischte es „Trial by Fire“, der jedoch glücklicherweise vor meinem geistigen Ohr so abspulte, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Im weiteren Verlauf des Songs von allen drei Studioalben mit Sänger Brian Ross umfassenden Auftritts besserte sich der Sound deutlich und „Twenty Twenty Five“, „Break Free“ und „Atom by Atom“ klangen über jeden Zweifel erhaben, abgesehen von der schlimm klirrenden Hi-Hat und unterbrochen von angenehm ungekünstelten, nachdenklichen Ansagen Ross’. Mit „Oppression“ packte man sogar einen echten Demo-Klassiker aus, der sich nahtlos in den großartigen Auftritt der sympathischen Briten einfügte. Interessant auch, den Drummer dabei zu beobachten, wie lässig er das Zeug wegtrommelt. Gerade die schnelleren Songs klingen nach mehr, als er eigentlich tut, was natürlich für seine Technik spricht.

Setlist SATAN:

Trial By Fire
Blades Of Steel
The Devil’s Infantry
Twenty Twenty Five
Break Free
Atom By Atom
Siege Mentality
Oppression
Testimony

Von nun an war die grobe Kelle angesagt, die Hessen TANKARD eröffneten den Thrash-Reigen. Auch dieser Gig sollte zu einer Premiere für mich werden, denn Gerre, Frank & Co. machen sich in Hamburg reichlich rar. Nichtsdestotrotz habe ich mir mehrere Live-DVDs zugelegt, dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an eine feucht-fröhliche, chaotische Alcoholic-Metal-Show. Mit dem Klassiker „Zombie Attack“ starteten TANKARD in ihr Set und, oh Graus, der Sound war zumindest halbvorn links schon wieder für den Allerwertesten, Gerres Gesang ging völlig unter. Das bekam man jedoch auch hier bald in den Griff und so konnte ich problemlos lauschen, wie die Band versuchte, sowohl ihren alten Klassikern als auch den in regelmäßigen Abständen veröffentlichen neuen Alben gerecht zu werden. Das mündete in einem Setlist-Spagat, der mir ehrlich gesagt ein paar alte Kracher zu viel vermissen ließ; andererseits klang z.B. ein „Rules For Fools“ hier richtig gut. Ein Song wie „Chemical Invasion“ übrigens erscheint mir nach den jüngsten besorgniserregenden Meldungen über Gift im Bier bei allem TANKARD-Spaßfaktor aktueller denn je. Der auch noch an diesem Tag seinen Geburtstag feiernde Gerre war wie üblich schön aufgekratzt, tobte über die Bühne, holte eine WDR-Kamerafrau auf dieselbe, um sie zu herzen und lobte immer wieder das Publikum: „Das sieht geil aus!“ Ehrlich gesagt hatte ich aber erwartet, dass der Mob weitaus mehr durchdreht – aber es war ja erst Nachmittag und manch einer wird noch seine Kräfte geschont haben.

Setlist TANKARD:

Zombie Attack
The Morning After
Fooled By Your Guts
Rapid Fire (A Tyrant’s Elegy)
Rules For Fools
R.I.B. (Rest In Beer)
Metal To Metal
Not One Day Dead (But One Day Mad)
Chemical Invasion
A Girl Called Cerveza
Rectifier
(Empty) Tankard

Z.B. für DESTRUCTION, die nächste deutsche Thrash-Legende, die ich nun auch schon verdammt lange nicht mehr live gesehen hatte. Angekündigt hatte das Trio ein spezielles Oldschool-Mad-Butcher-Set, was mir den Gig erst recht schmackhaft machte, denn die jüngsten Studioalben fand’ ich ehrlich gesagt nicht mehr so richtig überzeugend und denke mir hier, ähnlich wie bei TANKARD, dass weniger mehr wäre. Los ging’s mit „Curse the Gods“ vom „Eternal Devastation“-Album, gefolgt von „Mad Butcher“, zu dem der dem Cover der damaligen Mini-LP nachempfundene Schauspieler in blutiger Schürze und mit Hackebeil bewaffnet auf die Bühne stürmte. Die Setlist konzentrierte sich erwartungsgemäß auf die Klassiker aus den ’80ern, angereichert mit den Post-Reunion-Hits „Nailed to the Cross“ und „The Butcher Strikes Back“ sowie „Second to None“ vom an diesem Tag veröffentlichten neuen Album. Zwischenzeitlich befanden sich gleich drei Drummer (inkl. Drumkits) auf der Bühne, denn die ehemaligen Kesselrührer Tommy und Olli (mit WIZO-Shirt) hatten sich zu Gastauftritten eingefunden. Zusammen leitete man „The Antichrist“ ein, das Tommy durchtrommelte, bei „Reject Emotions“ durfte Olli ran. Der Song ging in „Sign of Fear“ über, den einzigen gespielten Song des „Release From Agony“-Albums. Eine weitere gelungene Überraschung war, dass man den alten „Tormentor“ entstaubt und durchs Amphitheater geprügelt hat. Und es ging noch weiter: Bei „Total Desaster“ sprang plötzlich Ex-SODOM-Klampfer Andy Brings im WODOS-Hemd auf die Bühne und spielte die zweite Geige Gitarre, wobei ihm das Adrenalin aus allem Poren schoss. Seines Leibchens entledigte er sich anschließend durch einen Wurf ins Publikum. Als vorletzten Song coverte man VENOMs „Black Metal“, mit gesanglicher Unterstützung von niemand Geringeren als TANKARD-Gerre und SODOM-Angelripper, leider war Gerres Mikro zunächst aus. Den Schlusspunkte bildete „Bestial Invasion“, von Schmier als „unser ‚Smoke on the Water’“ angekündigt. Fazit: Viel Show und Brimborium. Der „Mad Butcher“ hatte mehrere Auftritte: Mal zerhackte er blutiges Fleisch und warf es in die Menge, mal jagte er eine rothaarige Schauspielerin in Fetisch-Klamotten, mal schwang er die Kettensäge. Aus für meinen Geschmack etwas zu vielen Songs machte Schmier Hey-hey-Mitgrölnummern, dazu die ganzen Gastauftritte, einige Pyroeffekte und leider auch Schmiers gekünstelte evil Ansagen, die’s nun echt nicht gebraucht hätte. Doch egal, was man davon halten mag, die Songauswahl war schon ein ordentliches Brett und wie der arme Mike als einziger Gitarrist (klar, außer bei „Total Desaster“) sich da einen abriffte und -fiedelte, ist schon aller Ehren wert. Gerade während dieses Gigs dachte ich mir aber des Öfteren, ob ein zweiter Gitarrist nicht einerseits Entlastung und andererseits Garant für noch mehr Druck sein könnte…? Ich hatte meinen Spaß und gönne ihn auch DESTRUCTION, die ein nicht wegzudenkendes deutsches Thrash-Urgestein sind und nicht umsonst meine Wade in Tattoo-Form schmücken.

Setlist DESTRUCTION:

Curse The Gods
Mad Butcher
Eternal Ban
Life Without Sense
Nailed To The Cross
Invincible Force
Antichrist
Reject Emotions
Sign Of Fear
Tormentor
The Butcher Strikes Back
Second To None
Death Trap
Total Desaster
Black Metal
Bestial Invasion

Reichlich euphorisiert und mittlerweile angenehm angeschossen erwartete ich nun nicht weniger als den totalen Abriss vom Headliner des Tages: SODOM! Wahrscheinlich so etwas wie meine deutschen Lieblings-Thrasher, Ruhrpott-Metal-Urgesteine, Kultband für Kenner und meines Erachtens immer noch mit der besten deutschen Thrash-Stimme gesegnet. Längst war es dunkel geworden und Tom Angelripper, Bernemann und Makka (bei deren Einstieg in die Band leider die „bösen“ Pseudonyme ausgegangen waren) ließen die Bühne in nuklearen Grüntönen sparsam ausleuchten. „In War and Pieces“ erwies sich einmal mehr als perfekter Opener, der überraschend in den vom ausgeschiedenen Drummer Bobby geschriebenen „The Vice of Killing“ überging, bevor „Outbreak of Evil“ erstmals Kultklassiker-Alarm auslöste. Ziemlich gut durchmischte man alte Kamellen mit Stoff der Neuzeit. Eine fies rausgerotzte „Surfin’ Bird“-Version läutete „The Saw is the Law“ ein und bei „Nuclear Winter“ warf ich endgültig meinen Verstand weg. Völlig sodomisiert freute ich mich darüber, erstmals den Titeltrack der jüngsten Veröffentlichung, der „Sacred Warpath“-10“, live serviert zu bekommen, „City of God“ ist eh einer meiner Nicht-’80er-Favoriten, ebenso „Stigmatized“ und das „Agent Orange“-Chartbreaker-Album wurde mit gleich drei Songs berücksichtigt. Höhepunkt: „Blasphemer“ vom Debüt, wobei das charakteristische Gelächter diesmal nicht vom Band, sondern aus Toms Kehle kam und Grave Violator alias Peppi (ich liebe den Kontrast dieser Kosenamen) die zweite Axt schwang. Legendär, aber leider musste ich ausgerechnet während dieser Nummer pissen wie ein Elch und befand mich somit nicht mehr vor der Bühne. Womit ich allerdings fest gerechnet hatte, war „Bombenhagel“ zu hören zu bekommen, doch stattdessen beendete man den Gig mit der deutschen Version von „Ausgebombt“. So geil und vor allem heutzutage wieder einmal passend der Song auch ist, fühlte ich mich doch erst mal vor den Kopf gestoßen und dachte, man habe der Band evtl. vorzeitig den Strom aus Zeitgründen o.ä. abgedreht. Zeit genug wäre meines Wissens noch gewesen, aber, gut, will ich das mal als Statement verstehen und akzeptieren. Letztlich handelte es sich beim SODOM-Auftritt um den erwarteten Höhepunkt des Abends, der zwischendurch mit Toms berüchtigten ungekünstelten Liebesbekundungen dem Publikum gegenüber weitere Sympathiepunkte sammelte und auch in Sachen Pyroshow einiges auffuhr. Dass ich z.B. statt „M-16“ lieber „Among the Weirdcong“ gehört hätte und man von mir aus auch gerne „Remember the Fallen“ mal gegen was Flotteres austauschen könnte, sind da nur Randnotizen. Leider habe ich es vor lauter Euphorie versäumt, vernünftige Fotos zu schießen…

Setlist SODOM:

Intro
In War And Pieces
The Vice Of Killing
Outbreak Of Evil
Surfin‘ Bird
The Saw Is The Law
Nuclear Winter
M-16
Sacred Warpath
Proselytism Real
City Of God
Sodomy And Lust
Blasphemer
Agent Orange
Stigmatized
Tired & Red
Remember The Fallen
Ausgebombt

Damit war der erste Festivaltag an seinem Ende angelangt und da mir dieser nun doch etwas in den Knochen lag, wollte ich mir kurzerhand ein Taxi gönnen. Der Massenandrang auf die gelben Luxuskarossen ließ mich mich allerdings bald umentscheiden und so trat ich den Rückweg so an, wie ich gekommen war: per pedes. Dass das kein Problem war, sprach für meine immer noch überraschend gute Verfassung und wurde mit einem katerfreien Erwachen in Blümchenbettzeug belohnt.

Am nächsten Mittag war ich frohen Mutes, nach meinem Käsebrötchen-Cola-Frühstück erneut den Weg zu Fuß anzutreten, doch kurz nach meinem vernunftbetonten Obstkauf beim auf dem Weg liegenden Netto-Markt hielten zwei Festivalbesucher und baten mir an, mich im Auto mitzunehmen. Top-Service – danke, Jungs! Die Siegener Thrasher ACCU§ER eröffneten den musikalischen Teil des zweiten Tags und hatten von Beginn an einen brutalen Spitzensound. Die Alben, in die ich bisher reingehört hatte, waren nie so ganz mein Ding, der Auftritt hatte aber Eier und Wumms. Ein Schreihals forderte ständig „Cannibal Insanity“ und da der nicht gespielt wurde, muss ich mir den wohl anderweitig mal anhören. Zum Ende des Sets durfte die Band sogar noch eine Zugabe bringen, was ich vom linken oberen Rand des Geländes verfolgte, weil ich mich spaßeshalber einfach mal zum Meet & Greet mit SODOM angestellt hatte und mir, obwohl ich mir eigentlich nichts aus so etwas mache, einfach mal Autogramme mitnahm.

Makkas Frage, wer denn als nächstes spielen würde, konnte ich mit SORCERER beantworten. Obwohl bereits 1988 gegründet, haben die Schweden erst im letzten Jahr ihr Debütalbum „In the Shadow of the Inverted Cross“ veröffentlicht und mit „Black“ gleich noch ‘ne EP nachgeschoben. Mir sagte die Band erst mal überhaupt nichts, den Sound würde ich mit Doom trifft auf klassischen Heavy Metal beschreiben, ein bisschen wie BLACK SABBATH zur Tony-Martin-Ära. Sonderlich viel hängen blieb so erst mal nix, was aber nichts heißen muss, hat sich mir doch z.B. ein Götteralbum wie „Headless Cross“, um beim SABBATH-Vergleich zu bleiben, auch erst nach mehrmaligem Hören erschlossen. SORCERER wurden sehr gut vom Publikum angenommen, evtl. höre ich mir das Zeug noch mal in Ruhe an.

TRIBULATION sagten mir auch rein gar nichts, die ebenfalls aus Schweden stammende Band entpuppte sich als Mischung aus Gothic-Metal und atmosphärischem Melodic-Black-Death (oder so). Könnte man das Horror-Metal nennen? Die tuntig zurechtgemachten und angepinselten Bandmitglieder tänzelten über die Bühne und posten, was das Zeug hielt. Nach ca. drei Songs bin ich los und habe mich anderen Eindrücken gewidmet.

Es stand nämlich noch der letzte Spieltag der Fußball-Bundesliga an und für den einen oder anderen Verein ging es noch um so einiges, weshalb ich mich in den Biergarten gesellte und zu meiner positiven Überraschung feststellte, dass man (sicherlich nicht nur) meine Bitte aus dem letzten Jahr erhört und anstelle eines für die Menschenmenge viel zu kleinen Fernsehers einen Bigscreen für die Sky-Konferenzschaltung installiert hatte – offenbar gesponsert von Marshall. Danke! Bei ‘ner ersten Pilsette verfolgte ich entspannt den Abstiegskampf, Schalkes Sieg (zum Unmut der anwesenden Dortmunder) etc. und verzichtete komplett auf die dritten Schweden nacheinander, die Epic-Metaller GRAND MAGUS. Auch wenn die in den letzten Jahren in der Metal-Presse allgemein abgefeiert wurden, fiel mir das nicht sonderlich schwer, denn dieses ganze Epic-Metal-Zeug ist nicht so mein Ding. Ich finde, wahre Epik geht irgendwie anders, beispielsweise wie bei diversen IRON-MAIDEN-Großtaten.

Eine schwere Entscheidung galt es jedoch um 17:00 Uhr zu treffen: Den Fußball-Bums zu Ende glotzen oder mir THE EXPLOITED reinziehen? Ich entschied mich für letzteres, habe ich die schottischen HC-Punks doch schon ewig nicht mehr live gesehen und war neugierig, wie sie heutzutage klingen und vom Metal-Publikum aufgenommen werden würden. Leider musste ich feststellen, dass die Spielzeiten von den im Programmheft angegebenen abwichen und anscheinend alles eine Viertelstunde vorgezogen wurde, so dass ich den Anfang versäumte und erst zu „Dead Cities“ hinzustieß. Der umstrittene Shouter Wattie pöbelte sich hektisch durch eine Art Best-Of-Set, aus dem jeder Song sicherlich schon mal besser klang, seien es die HC-Punk-Knaller früher Tage, seien es die Metal-Crossover-lastigeren jüngeren Stücke. Seine vernuschelten Ansagen im schottischen Akzent waren kaum zu verstehen, aber dafür machte die ruppige Darbietung durchaus irgendwie Laune – besonders als Kontrastprogramm zum filigraneren Metal-Gedöns, das zuvor von der Bühne schallte. Das sah ein großer Teil der Anwesenden offenbar ähnlich und feierte das Geballer ordentlich ab. Meine Lieblingsband wird THE EXPLOITED sicherlich nicht mehr – dafür sorgt auch völlig überflüssiger Bullshit wie die neben tatsächlichen „Wankers“ auch Jello Biafra gewidmete Ansage zu „Fuck the USA“ – und für wirklich relevant halte ich sie heutzutage auch nicht mehr (aber welche Band ist das schon?). Dass er irgendwelche alten Privatfehden wie mit Biafra gerade für einen Song wie diesen auf die Bühne trägt, ist peinlich. Dass dieser dann mit DESTRUCTION-Schmier zusammen geschmettert wurde, war wiederum cool, immerhin haben die Schwaben vor einigen Jahren eine Coverversion des Stücks aufgenommen. Für das unvermeidliche „Sex & Violence“ wurde zur Bühneninvasion aufgerufen, zahlreiche Headbanger erklommen mithilfe der Security die Bühne, feierten und grölten mit. Anschließender Kommentar des Bassisten: Das sei die harmloseste Stage-Invasion ever gewesen, sogar sein Bier sei noch da… Alles in allem finde ich, dass die EXPLOITED-Kritiker gern mal übers Ziel hinausschießen; gönnen wir’s dem zurzeit reichlich aufgedunsenen Wattie mit seinem knallroten Iro nach Herzinfarkten und Bypass-OP doch, wieder über die Bühne fegen zu können. Der Gesamtsound war gewöhnungsbedürftig, klang aber besser als seinerzeit um die Jahrtausendwende, als die Songs unter lauter Double-Bassdrum-Gewitter kaum noch voneinander zu unterscheiden waren. Und Alben wie „Troops of Tomorrow“ und „Let’s Start a War“ halte ich nach wie vor in Ehren – da gab’s nämlich gerade im Punk-Bereich sehr viel Schlechteres.

Setlist THE EXPLOITED:

Let’s Start A War (Said Maggie One Day)
Fightback
Dogs Of War
Massacre
UK 82
Chaos Is My Life
Dead Cities
Alternative
Noize Annoys
Never Sell Out
Rival Leaders
Troops Of Tomorrow
I Believe In Anarchy
Holiday In The Sun
Cop Cars
Beat The Bastards
Fuck The System
Porno Slut
Army Life
Fuck The USA
Sex & Violence
Was It Me

Mit KADAVAR aus Berlin stand nun Retro-Rock auf dem Programm, ein Genre, das polarisiert: Seit dem Revival dieses Stils versuchen sich unzählige Bands darin, Sound und Ästhetik der ’70er nachzuempfinden. Manche Bands tendieren dabei stärker in den Doom-Bereich, andere haben eine starke Bluesrock-Schlagseite. Zumindest 2/3 von KADAVAR sahen typischerweise aus wie mit der Zeitmaschine direkt aus dem Schlaghosen-Jahrzehnt hergebeamt und man spielte Hardrock/’70s-Proto-Metal mit ordentlich Drive, vom an Muppet-Animal erinnernden Drummer hinter seinem aufs Nötigste reduzierten und publikumswirksam auf einem Raiser in der Mitte platzierten Kit mit einem kräftigen Punch und beachtlicher Show versehen und bisweilen entfesselten Jam-Charakter aufweisend. Ich hab’s mir nicht komplett gegeben, wozu auch der nervige Regen an diesem deutlich abgekühlten Tag – die sog. Eisheiligen hatten sich angekündigt – beitrug, der mich in die Merchandise-Zelte trieb. KADAVAR dürften aber an diesem Tag manch Zweifler überzeugt und sich einigen Respekt erspielt haben.

Am gespanntesen war ich an diesem Tag auf die US-Amerikaner von METAL CHURCH. Nach einigen nicht mehr ganz überzeugenden Alben war für die jüngste Platte „XI“ Mike Howe zurück ans Mikro gekehrt, der damals die Alben Nummer drei bis fünf im Zeitraum ’89 bis ’93 eingesungen hatte, die eine hervorragende Reputation genießen – wenn meines Erachtens auch das Debüt-Album mit dem tragischerweise verstorbenen Original-Sänger David Wayne unerreicht bleibt. Doch der schlanke, drahtige Howe, mittlerweile ohne lange Matte, kam, sang und siegte! Welch eine unfassbare Talentverschwendung, dass der Kerl derart lange gesangsabstinent geblieben war, denn er war topfit und lieferte eine fantastische Gesangsleistung. Der klassische US-No-Bullshit-Power-Metal des Quintetts deckte alle Erfolgsalben mit Schwerpunkt auf der Howe-Ära ab, Howe hüpfte gern auch mal auf nur einem Bein breit grinsend über die Bühne und der Band sah man die Spielfreude ebenfalls an, allen voran Urgestein Kurdt Vanderhoof. Es war eine gute Entscheidung, mir ganz vorne ein Plätzchen zu suchen, denn dort war ich nicht nur möglichst nah an der Bühne, sondern auch regengeschützt. METAL CHURCH wurden vollkommen zu Recht gebührend gefeiert, machten Lust, sich mal wieder stärker mit ihrer Diskographie zu beschäftigen und wirkten zudem überaus sympathisch. Einziger Wermutstropfen: Ein überflüssiges Gitarrensolo anstelle eines weiteren Songs. Für mich die Gewinner des Tages.

Setlist METAL CHURCH:

Fake Healer
In Mourning
Start The Fire
Reset
Gods Of Second Chance
Date Witch Poverty
No Tomorrow
Watch The Children Pray
No Friend Of Mine
Killing Your Time
Beyond The Black
Badlands
The Human Factor

Die Norweger „Deathpunks“ von TURBONEGRO bildeten etwas überraschend den Headliner dieses Festivaltags und nicht nur ich war sehr skeptisch. Gegen Ende der ’90er muss es gewesen sein, als sich auf irgendeiner Mix-CD der Song „Are You Ready (For Some Darkness)“ befand, den ich eigentlich ganz töfte fand. Schnell allerdings ging mir der Hype um die Band auf den Sack und mit ihrem Schwulen-Image schien sie mir weniger zu provozieren als vielmehr Everybody’s Darlings geworden zu sein. Zudem nervte mich ihr Mittelschicht-Fanclub „Turbojugend“ und ich hatte das Gefühl, dass sich viel zu viele Deppen plötzlich dazu berufen fanden, in den Hype einzusteigen und sich in überteuerte Denim-Jacken zu hüllen. Das Hickhack um einen Gig auf dem Lausitzring anlässlich des 2004er Abschiedskonzerts der BÖHSEN ONKELZ, den man erst zu- und dann die Schwänze einzog und ihn wieder absagte, besorgte den Rest. Und als 2011 der Originalsänger Hank van Helvete durch einen gewissen Tony Sylvester ersetzt wurde, schien der Drops endgültig gelutscht, denn auch viele Fans der Band attestierten ihr nun, nicht mehr an alte Qualitäten anknüpfen zu können. Überfliegt man die Biographie der Band, scheint diese allerdings für eine modernere Version von „This is Spinal Tap“ prädestiniert: Im Zuge der allgemeinen Alterung des Rockzirkus hört man ja immer wieder von geläuterten Rockstars, die nach jahrelangem „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“-Exzess und diversen Entzugsklinikaufenthalten Drogen und Alkohol abschworen und „zu Gott fanden“, also religiös wurden und plötzlich vermehrt mit reaktionären Äußerungen auffielen, von denen man eigentlich glaubte, sie hätten im Rock’n’Roll nichts zu suchen. So auch Hank van Helvete, der ehemals so exaltierte Frontmann, der plötzlich Scientology-Mitglied wurde und sich abschätzig über Homosexuelle äußerte. Als ich erstmals davon erfuhr, hielt ich das noch für einen Gag und wartete darauf, dass die Band ihn irgendwann auflösen und sich über die schockierten Fans lustig machen würde, doch dieser Schritt blieb aus – offenbar war all das kein Spaß mehr.

Wie dem auch sei, an diesem Abend hatte ich nichts Besseres zu tun, erwartete absolut nichts, gab der Band nach den ersten verpassten Songs aber eine Chance und sah mir den Auftritt an. Die Band war noch in beklopptere Outfits gewandet, als ich es mir ausgemalt hatte, Sänger Tony Sylvester rief zum kollektiven Selbstmord auf und geizte nicht mit langen, individuell auf das Festival und die Metal-Fans zugeschnittenen Ansagen, von denen locker die Hälfte tatsächlich witzig war – und spätestens, als man „City of Satan“ spielte und zwischen zwei Zeilen den Hinweis „Not the band Satan!“ unterbrachte, hatte sie mich und ich amüsierte mich köstlich. „Are You Ready (For Some Darkness)“ avancierte zu einem der Höhepunkte des Sets, das nach einer punkigen, frechen, ironischen Variante von ’80er-Stadion- und Schweinerock klang, „Blow Me (Like the Wind)“ wurde um ein bescheuertes Keyboard-Solo ergänzt und als Tony mutmaßte, sie seien die einzige Band des Festivals, deren Logo man tatsächlich lesen könne, irrte er – wir befanden uns schließlich nicht auf dem Party.San! Er formte eine „Berlin Wall of Death“ und berichtete von EXPLOITED-Watties Zusammentreffen mit Angela Merkel, während die meisten Songs bei fettem Sound und geiler Lightshow zumindest mitwippen ließen und sich als kurzweilig und unterhaltsam erwiesen. Rund 20 Jahre meiner Ignoranz den Norwegern gegenüber endeten also an diesem Abend und, ja, verdammt: Sylvester hat schon eine ziemlich geile Stimme – das muss man ihm lassen. Immerhin schafften sie’s auch, das mittlerweile wirklich unangenehme Klima vergessen zumachen, denn ich hatte dann doch die eine Regendusche zuviel abbekommen, so dass sich alles nur noch nasskalt und klamm anfühlte. Gut bespaßt trotz heute nur zwei Bierchen in der Blutbahn machte ich mich auf den Heimweg und zappte im Zimmer noch durchs Pfingstwochenend-TV-Programm, das allerdings derart öde war, dass ich mich erst recht auf den dritten und letzten Festivaltag freute.

Setlist TURBONEGRO:

Hot For Nietzsche
We’re A Norwegian Band
You Give Me Worms
All My Friends Are Dead
Are You Ready (For Some Darkness)
City Of Satan
Blow Me (Like The Wind)
Dude Without A Face
I Wanna Come
Back To Dungaree High
Special Education
Drenched In Blood (D.I.B.)
Sell Your Body (To The Night)
Wasted Again
Fuck The World (F.T.W.)
Get It On
The Age Of Pamparius
Don’t Say Motherfucker, Motherfucker
Dirty Deeds Done Dirt Cheap
I Got Erection

Aufgrund der Erfahrungen des Vortags entschied ich nach ausgiebigem Ausschlafen zu bereits vorgerückter Stunde nicht nur, ’ne langer Hose überzuziehen, sondern mir auch wegen der wenig vertrauenserweckend wirkenden Witterung ein Taxi zu bestellen. Taxi-Zentrale GE gegoogelt, angerufen – und niemand nahm ab. Also stiefelte ich doch wieder zu Fuß los und war noch nicht weit gekommen, als ich mich vor üblem Prasselregen Schutz suchend unter einen Hauseingang rettete. Da fiel mir auch prompt ein, dass ich noch ein altes Regencape aus Wacken im Koffer hatte, also wartete ich ab, bis es wieder etwas trockener wurde und machte auf dem Absatz kehrt, um das Ding einzusacken und überzuziehen. Müßig zu erwähnen, dass seitdem kein Tropfen mehr herunterkam und ich es bald wieder zusammenfalten und in die Arschtasche stecken konnte, aber das ist eben Murphy’s Law: Wer weiß, was da noch alles runtergekommen wäre, hätte ich aufs Cape verzichtet… Den Hinweg konnte ich dann also doch wieder bei Sonnenschein wandern, kam aber zu spät für die Hessen DISCREATION, die offenbar mit einem amtlichen Death-Metal-Brett den letzten Tag eröffneten, das selbst mir als Death-Metal-Muffel bestimmt auch ganz gut getan hätte.

Aber auch die (schon wieder) Schweden von BLACK TRIP um die beiden ENFORCER-Mitglieder Joseph Tholl und Jonas Wikstrand wurden zu einem prima Einstieg in den Tag. Die bisher zwei Alben veröffentlicht habende Band überzeugten mit rock’n’rolligem, melodischem Heavy Metal mit leichter Punk-Kante und spielten mit „Shadowline“ einen meiner Lieblinge – welch ein Song!

Nun galt es allerdings, eine lange Durststrecke durchzustehen. NIGHTINGALE um den umtriebigen Schweden Dan Swanö spielten Gothic-Metal mit Keyboard-Samples aus der Konserve und hatten anfänglich mit Sound-Problemen zu kämpfen, konnten mich aber auch ohne diese nicht überzeugen. Einzig der letzte Song, der EDGE-OF-SANITY-Klassiker „Black Tears“, u.a. formidabel von HEAVEN SHALL BURN gecovert, ließ mich aufhorchen. Zwischendurch erwähnte Dan bezeichnenderweise, dass es normalerweise immer so leise zwischen ihren Songs sei und erbat sich 30 Sekunden „Noise“ vom Publikum – das er auch bekam. Trotz sympathischer Ausstrahlung nichts für Vadder sein‘ Sohn.

Unerträglich wurde es dann bei den Deutschen ORDEN OGAN: Kitsch-Metal mit permanentem überlautem Double-Bass-Durchgetrete – ihr seid keine Death-Metal-Band! – und Chören vom Band. Das ging gar nicht und ich musste fliehen.

Auch die Portugiesen MOONSPELL verschafften im Anschluss keine Abhilfe: Noch mehr Gothic-Metal, diesmal mit sehr dominanten Keyboards – und leider langweilig wie Sau. Der Sänger verließ zwischendurch kurz die Bühne, doch wer gehofft hatte, das wäre es jetzt gewesen, sah sich getäuscht: Er kehrte mit einem albernen Umhang zurück und trällerte ein Lied über Vampire… Auch im Publikum machte sich deutlich vernehmbar erster Unmut breit. Ich wusste nicht mehr so wirklich etwas mit meiner Zeit anzufangen, von meinen Hamburger Bekannten keine Spur, im Biergarten, wo letztes Jahr noch Interviews und Lesungen stattfanden, flimmerte lediglich der Bigscreen, auf dem ich mir wenigstens den coolen neuen DESTRUCTION-Clip zu „Under Attack“ und ein paar wild-things.de-Videos vom Festival anschauen konnte, ansonsten aber vor allem die immer gleichen Werbespots der Sponsoren liefen. Auf Saufen hatte ich auch keine Lust und sah mir so zum zehnten Mal die Aufnäherstände an…

Mit RIOT V, der fünften Inkarnation der US-Power-/Speed-Metaller RIOT, erschien dann endlich wieder Licht am Horizont und die von Schicksalsschlägen gebeutelten Amis – u.a. hatte man Gitarrist und Urgestein Mark Reale 2012 durch dessen tragischen Tod verloren – öffneten einen Sack voller Melodien, Hymnen und herausragender klassischer Metal-Gitarrenarbeit. Der aktuelle Sänger Todd Michael Hall erwies sich als echter Glücksgriff und agiles Goldkehlchen, auch Gitarrist Nick Lee blieb ein ständiger Aktivposten, selbst der Drummer war permanent am Headbangen. Wie erfrischend wirkte dieser Auftritt gegen fast alles an diesem Tag Vorausgegangene?! Mein persönlicher Höhepunkt war das grandiose „Flight of the Warrior“ und der einzige Wermutstropfen, dass es „Outlaw“ nicht in die Setlist geschafft hatte. „Swords and Tequila“ widmete man Mark Reale, dessen Gitarrenkoffer sie hochhielten, Bassist Don Van Stavern nahm einen Schluck aus der Tequila-Pulle auf ihn. „Thundersteel“ setzte den Schlusspunkt unter einen begeisternden Auftritt einer Band, die man noch lange nicht abschreiben sollte und mit deren Diskographie ich mich mal eingehender befassen werden müssen.

Setlist RIOT V:

Narita
Ride Hard Live Free
Fight Or Fall
Fire Down Under
Angel Eyes
Flight Of The Warrior
Bloodstreets
Take Me Back
Road Racin´
Warrior
Swords And Tequila
Thundersteel

Ein Fan, der unbedingt die nun mit den Hufen scharenden US-Deather CANNIBAL CORPSE sehen wollte, ist traurigerweise direkt nach RIOT V umgeknickt und wurde mit anscheinend herausgesprungener Kniescheibe von den Sanitätern auf einer Tragbahre abtransportiert. Gute Besserung, Junge! Zu Beginn meiner Pubertät hielt ich die subgenredefinierende Band für so ziemlich das Härteste und Krasseste, was es an Metal geben konnte, war jedoch in erster Linie von den Zensurmaßnahmen gegen die Band und den, äh, geschmackssicheren Plattencovern fasziniert. Als ich merkte, dass mir Death Metal allgemein weniger liegt, ließ mein Interesse schnell nach und als ich sie 2010 in Wacken erstmals live zu sehen bekam, floh ich vor der mich eher langweilenden Monotonie. Statt mir ein elftes Mal die Aufnäherstände anzuschauen, positionierte ich mich diesmal jedoch auf den untersten Stufen genau mittig zur Bühne und beschloss, mein Durchhaltevermögen auf eine Probe zu stellen. Es war drückend, es war laut (hart an der Grenze für meine Ohren, die noch lange Zeit danach klingelten) und es war brutal. George „Corpsegrinder“ Fisher grunzte, röchelte und ließ hin und wieder markerschütternde Schreie ertönen, wenn er nicht gerade seinen Nacken durch beeindruckendes Propeller-Banging trainierte. Musikalisch war’s wie erwartet fast permanentes Geballer, jedoch technisch fit und stets präzise auf den Punkt gespielt. Schon irgendwie faszinierend, wie die Band da den Überblick behält und auch Fisher stets weiß, wann welches Drumfill kommt, wann welcher Break ansteht, wer wann wo und wie einsetzen muss – Hooks oder sonstige Wiedererkennungsmerkmale, Unterscheidungsmöglichkeiten etc. sind hier zumindest für meine Lauscher nämlich äußerst rar gesät. Schon eine beeindruckende Leistung und ich hielt tapfer durch, bis der letzte Akkord verklungen war, ja, hatte mit der Zeit sogar irgendwie einen seltsamen Gefallen an diesem Abrisskommando gefunden. Musikalischer Extremismus ohne jegliche Kompromisse.

Setlist CANNIBAL CORPSE:

Evisceration Plague
Time To Kill Is Now
Scourge Of Iron
Death Walking Terror
Stripped, Raped And Strangled
The Wretched Spawn
Pit Of Zombies
Kill Or Become
Sadistic Embodiment
Icepick Lobotomy
Covered With Sores
Born In A Casket
I Cum Blood
Unleashing The Bloodthirsty
Make Them Suffer
Hammer Smashed Face
Devoured By Vermin

Wesentlich filigraner gehen da die Krefelder BLIND GUARDIAN zu Werke, die nach langer Zeit erstmals wieder das Rock-Hard-Festival beehrten, natürlich als Headliner. Die Band um Frontmann Hansi Kürsch erfreut sich seit Jahrzehnten ungebrochener Beliebtheit und dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass an diesem Tag selbst die letzten Tagestickets verkauft wurden und der entsprechende Schalter geschlossen werden und „Sold Out“ vermelden konnte. Ich muss jedoch zugeben, lediglich mit den ersten drei Alben, auf denen man noch Speed Metal zockte, wirklich etwas anfangen zu können. Mit dem Tolkien-Fantasy-inspirierten Power Metal, für den die Band seit Abschluss jener Anfangsphase steht, wurde ich nie so richtig warm, wenn er auch sicherlich hier und da seine Momente hat. Besonders der durchaus kreative Umgang mit Coverversionen ist mir noch in wohliger Erinnerung, doch in erster Linie regieren Bombast, Pathos und Prätentiöse, konterkariert von Hansis bodenständigen Ansagen „mit dem Charme eines Finanzbuchhalters“, wie ich irgendwo las. BLIND GUARDIAN verwandelten zum Abschluss das Festival in eine bunte Fantasy-Welt und bemühten sich um viel Atmosphäre, was auf viel, viel Gegenliebe seitens der Anwesenden stieß. Ich schaute mir das Treiben aus sicherer Entfernung an und schlürfte mein Bierchen, vernahm ausufernde Mitsingparts und eine von der Publikumsresonanz sehr angetane Band – und freute mich, wenn mal ein Speed-Klassiker wie „Valhalla“ erklang oder man sich mit „Majesty“ vom allerersten Album schließlich verabschiedete. BLIND-GUARDIAN-Fans dürften voll auf ihre Kosten gekommen sein; ich nahm immerhin ein paar frische Eindrücke der Band mit, mit der ich wohl nie mehr so richtig warm werden werde.

Setlist BLIND GUARDIAN:

The Ninth Wave
The Script For My Requiem
Nightfall
Fly
Tanelorn (Into The Void)
Prophecies
The Last Candle
Lord Of The Rings
Time Stands Still (At The Iron Hill)
Journey Through The Dark
Imaginations From The Other Side
Sacred Worlds
Valhalla
The Bard’s Song – In The Forest
Mirror Mirror
Majesty

An diesem letzten Abend trat ich natürlich nicht gleich den Heimweg an, sondern suchte das große Aftershow-Party-Zelt auf, in dem tagsüber der Metal-Markt stattgefunden hatte. Mit Teilen der Hamburger wurden noch ein paar Bierchen geschlürft und die Beschallung erfolgte diesmal übrigens nicht von einem DJ im Zelt, sondern vom direkt draußen davor platzierten Truck der Firma „Teufel“. Da auch das Wetter noch immer weitaus angenehmer war als am Tag davor und der DJ nun einen Klassiker nach dem anderen auflegte, feierte ich erstmals seit Freitag noch mal ’ne ganze Weile so, wie es leider bei zu vielen Live-Bands für mich nicht möglich gewesen war. Rechtzeitig erinnerte ich mich diesmal daran, noch einen nicht ganz unbeträchtlichen Weg zurück zur Unterkunft vor mir zu haben und nahm irgendwann Abschied vom Rock-Hard-Festival 2016. Ich konnte noch mal ausschlafen, bevor mich ein neuer Chauffeur mittags direkt am Zimmer abholte und zurück nach Hamburg fuhr.

Zeit für ein kleines Resümee: Ein keinem speziellen Subgenre verpflichteten, abwechslungsreiches Bandaufgebot gehört zum Konzept des Rock-Hard-Festivals, es jedem Recht machen kann und will man nicht. Ich weiß gar nicht, ob 2015 mehr für mich dabei war, gleich drei meiner Favoriten gab’s diesmal ja in geballter Form schon am Freitag. Letztes Jahr war natürlich alles noch allein schon deshalb aufregender, weil’s für mich neu war und es mehr zu entdecken gab. Wenn das Wetter nicht wie gewünscht mitspielt und drei langweilige Bands hintereinander spielen, kann das schon mal einen Stimmungsabfall zur Folge haben, zumal ich als Nicht-Camper auch keinen Zutritt zum Camping-Gelände habe. Auf einem kleinen Festival wie diesem mit seinen 7.000 bis 8.000 Gästen hat man vom Drumherum dann auch recht schnell alles gesehen, zumal wenn das Parallelprogramm zusammengeschrumpft wurde. Nichtsdestotrotz war es auch dieses Jahr eine größtenteils angenehm horizonterweiternde, entspannte Angelegenheit, deren Teilnahme ich zu keiner Sekunde bereut habe – eine zu willkommene Abwechslung auch zu meiner sonstigen Freizeitgestaltung stellt sie dar. Mit den Leuten vor Ort, egal ob von offizieller Seite oder als Gast, gab’s zu keinem Zeitpunkt auch nur irgendein Problem, die ganze Stimmung habe ich erneut als sehr relaxt empfunden. Nach wie vor nicht nachvollziehen kann ich allerdings, dass sich manch einer seine mehr oder weniger geschmackvoll gestalteten Kutte mit BURZUM-Dreck verziert und dieser auch noch an fast jedem Stand verkauft wird. Der Festivalsport Crowdsurfing erfreute sich auch auf diesem Festival großer Beliebtheit, wobei ich mich schon frage, was manche antreibt, sich während eines einzelnes Auftritts zehn Mal nach vorn tragen und von der Security in Empfang nehmen zu lassen… Kompliment an die Sicherheitskräfte, dass die das tatsächlich dauerhaft mit einem Lächeln quittieren.

Als nervig erwies sich der „Hauptverkehrsknotenpunkt“, an dem jeweils nach Ende eines Gigs sich die Menschenmengen stauten, die entweder am offiziellen Merchandise-Stand gucken oder kaufen, zum Klo abbiegen, geradeaus weiter oder rechts herum wollten und sich manches Mal gegenseitig auf die Füße trampelten. Vor allem die Kloschlange versperrte nämlich den reibungslosen Besucherabfluss. Genauso viele, wie die Toiletten aufsuchten, kamen nämlich auch wieder zurück und der Weg wurde zusätzlich durch große Mülltonnen verengt. Hier etwas mehr Platz zu schaffen, wäre wünschenswert. Dass es überhaupt vernünftige Toiletten-Container mit fließend Wasser, Seife und Papierhandtüchern gibt, ist natürlich äußerst erfreulich. Als jemand, der kein Fleisch mehr isst, ist natürlich das Essensangebot stets auch von besonderem Interesse. Positiv tat sich, und das sage selbst ich als Küstenkind, wieder der Fischstand hervor, der sättigenden, wohlschmeckenden Fisch (fangfrisch aus dem Rhein-Herne-Kanal!) in verschiedenen Variationen zu vertretbaren Preisen anbot. Pommes gehen auch klar; 50 Cent lassen sich sparen, wenn man statt Ketchup oder Mayo zum Senf greift (einfach mal probieren, schmeckt klasse). Die etwas lieblos erscheinende Pizza gehört eher ins Mittelfeld, eine kleine Portion Asia-Nudeln mit Gemüse, die selbst am Hamburger Hauptbahnhof nur zweifuffzsch kostet und dort sogar noch gebratenen Tofu enthält, wird für satte 5,- EUR ebenso boykottiert wie die Falafel zum ich glaube selben Preis: Generell habe ich beschlossen, diese Kichererbsenbällchen so lange links liegen zu lassen, bis man statt ihrer endlich Veggie-Döner aus Seitan anbietet. Im Vorfeld meine ich gelesen zu haben, dass man sich für Vegetarier & Co. diesmal noch etwas Besonderes habe einfallen, aber ich weiß nicht, was damit gewesen sein könnte. Ach ja, drei frittierte Reibekuchen mit Apfelmus o.ä. für 4,- EUR schien mir auch zu teuer, soll aber ein ziemlicher Gaumenschmaus gewesen sein. Vielleicht nächstes Jahr. Wie auch bei den Bierpreisen (Veltins vom Fass) gilt fast generell: 50 Cent runter wäre wünschenswert… Wat war noch? Ach ja, die Festival-Shirts waren leider nicht so schick wie 2015, den Zwanziger habe ich gespart.

Fürs nächste Jahr wurden bereits CANDLEMASS, SECRETS OF THE MOON und D-A-D angekündigt, wovon mich erst mal nichts vom Hocker reißt. Obwohl, einmal „Sleeping My Day Away“ live…? Ich sag’ mal so: Ich würde mir wünschen, dass das Line-Up 2017 wieder in ausreichendem Maße nach meiner Kragenweite gerät, denn ich würde eigentlich schon gern wiederkommen…

P.S.: Danke an www.the-pit.de, wo ich die Setlists vergleichen bzw. mopsen konnte!

07.05.2016: Hafengeburtstag Hamburg

affengeburtstag 2016 flyer 1

Der Hamburger Hafengeburtstag mit seinen zahlreichen Bühnen wurde dieses Jahr feiertagsbedingt gleich vier Tage lang gefeiert, von Donnerstag bis Sonntag. Ich hatte erst ab Samstagnachmittag wirklich Zeit dafür, weshalb ich viele sehens- und hörenswerte Gigs von z.B. FAST SLUTS, S.O.S., PLASTIC PROPAGANDA und VIOLENT INSTINCT verpasste, aber auch den ersten Abend des alternativ „Affengeburtstag“ getauften Programms auf der Onkel-Otto-Bühne am Störtebeker außerhalb des städtisch abgesegneten Teils ohne mich stattfinden lassen musste. Samstag aber sollte ich dort selbst mit BOLANOW BRAWL auf der Bühne stehen und freute mich auf mein erstes Open Air überhaupt mit dieser Band! Der ursprüngliche Plan, zwischen 16:00 und 18:00 Uhr Soundchecks mit allen Bands durchzuführen, wurde über Bord geworfen, so dass wir noch reichlich Zeit bis zum Beginn um 19:00 Uhr hatten, dem Bühnenaufbau beiwohnen, die ersten Bierchen pitschen und uns schließlich übers Buffet hermachen konnten (oder auch vergeblich zu versuchen, Bolanow zu besorgen oder, wie Stulle, einen Parkplatz zu finden…). Das Wetter lud zum gemütlichen Rumgammeln ein, denn es dürfte der bisher heißeste Tag des Jahres gewesen sein – keine Spur vom Schmuddelwetter manch vergangenen Hafengeburtstags. Viele Freunde und Bekannte waren auch längst vor Ort, was neben dem starken Besucherandrang meine Nervosität beflügelte. Die Spielreihenfolge die Bands untereinander ausmachen zu lassen, fiel dem sich als gut funktionierend herausstellenden Konzept der Organisatoren zum Opfer, die lokale Band – in diesem Falle uns – jeweils als zweite zocken zu lassen. Pünktlich, nachdem ich mir die schmackhafte Nudelpfanne mit Seitan, Salat und Brot reingepfiffen (und nur dafür auf den weltbesten Veggie-Döner, den es stets zum Hafengeburtstag an der Hafenstraße gibt, verzichtet) hatte, begannen LUCKY MALICE aus Norwegen. Das Riot-Grrrl-Trio machte mit seinem vornehmlich englisch gesungenen, rauen und doch melodischen, ziemlich eigenständigen Punk gut Alarm und überzeugte mit viel Spielfreude und Gesang, der dann und wann in überraschend hohe Regionen vorstieß. Eine der Damen sprang zwischenzeitlich von der Bühne ins Publikum; gegen Ende schraubte die Bassistin ihr Mikro hoch und schmetterte eine klasse Version von MOTÖRHEADs „Ace of Spades“. Klasse Bühnenshow eines ebensolchen Gigs, der die Stimmung gut anheizte. Die Mädels haben gerade ihre Split-LP mit DANGER!MAN herausgebracht und beehren Hamburg bereits zum Gaußfest am 11.06. wieder!

Nun waren wir an der Reihe. Zum Umbau auf der Bühne gesellte sich Janas und Kais kleine Rampensau und Stuntgirl Pia, die zuvor bereits diversen Zuschauern eine Seifenblasendusche verpasst hatte und nun Mikros und Drums auf ihre Funktionstüchtigkeit hin testete. Die recht hohe Bühne bot einen prima Überblick über die Meute und, ja, die war wirklich zahlreich erschienen. Mit unserer in Rotenburg erfolgreich erprobten neuen Setlist sorgten wir als einzige Streetpunk-Band des Abends dann für weiteren melodischen Stoff, der offenbar gut ankam, das Publikum zeigte sich begeisterungsfähig, in Teilen auch bewegungsfreudig und so wurd’s auch für uns ’ne äußerst angenehme Nummer, meines Wissens ohne großartige Verspieler oder sonstige Ausfälle. Ich genoss sehr den Umstand, endlich mal wieder ’ne Monitorbox zu haben, statt versuchen zu müssen, über die P.A. irgendetwas mitzuhören. Zwischen den Songs allerdings das übliche Chaos; wann immer ich ’ne Idee für ’ne Ansage hatte, brüllten die mitteilungsfreudigen Kollegen dazwischen oder zählten schon die nächste Nummer an und wenn ich mir gewünscht hätte, dass sie ihrem etwas eigenen Humor freien Lauf lassen, blieben sie stumm wie ein Fisch zwischen zwei Brötchenhälften. Das machen die mit Absicht und ich werde mich irgendwann grausam rächen! Obwohl einige sie gefordert hatten, gab’s keine Zugaben, denn der Zeitplan hing eh schon wieder hinterher, davon abgesehen hatten wir unser Pulver komplett verschossen und keine „Hits“ aufbewahrt, um die wir uns erst lange bitten hätten lassen.

Nach der Pflicht kam die Kür, was bedeutete, unaufgeregt die weiteren Bands verfolgen oder sich weiter auf dem Hafengeburtstag umsehen zu können. Die Holländer FLEAS AND LICE besorgten es der Hardcore-Punk-Fraktion nun mit ebensolchem, wie gehabt ordentlich scheppernd und mit männlich-weiblichem Wechselgesang. Die sind mittlerweile schon so lange dabei, dass sie niemandem mehr etwas beweisen müssen und wüteten sich gewohnt souverän durch ihr Set. Das hab’ ich allerdings nicht komplett verfolgt, sondern bin zwischendurch runter zur Jolly-Roger-Bühne, um genau in die wenig spannende Umbaupause einer Ska-Punk-Band zu geraten. Als ich das nächste Bier weg hatte und der Trompeter noch immer sein Instrument stimmte, bin ich wieder hoch, Shakehands hier, Klönschnack da und schon standen JUNTA aus Dänemark auf der Bühne. Das Trio hat bisher ein Demotape und ’ne EP-MC draußen und zockt ungezügelten, energischen Hardcore-Punk, der mich ein bisschen an alten Finnen-Punk erinnert. Die in Landessprache vorgetragenen Songs duldeten kein Durchatmen und auf Dauer war’s mir dann ehrlich gesagt zu monoton. Der Gitarrist und Sänger in Personalunion war aber mit vollem Enthusiasmus bei der Sache und seine Energie wirkte anscheinend auf Teile des Publikums durchaus ansteckend.

Mit HOMBRE MALO als letzter Band war dann noch einmal Norwegen vertreten. Tiefergestimmten Sludge vernahmen meine Ohren und das ist nun leider so gar nicht meins, da kann der Shouter noch so viel herumbrüllen. Ich befürchtete das Schlimmste, doch plötzlich gab die Band Gas und war dazu arschtight, so dass es doch noch durchaus hörbar wurde. Der Stil entpuppte sich als Bastard aus Sludge, brutalem Geknüppel und bisweilen noisigen Einlagen, der nicht gerade eingängig, aber in seiner Härte und Konsequenz durchaus beeindruckend war. Groovigere Parts lockerten die Songs auf und ich glaube, in dem, was HOMBRE MALO machen, sind sie ziemlich gut. Der Shouter brüllte um sein Leben und die wuchtigen Drums sorgten für den passenden Beat zum musikalischen Massaker. In all seiner völligen Übertreibung irgendwie faszinierend und noch mal ein derbes Brett zum Abschluss, wenn auch in Sachen Songstruktur schwer nachvollziehbar und nicht gerade tanzbar.

affengeburtstag 2016 flyer 2Danke an Coyote und Co. für diese geile Gelegenheit, den Hafengeburtstag zu beschallen, an die nette Crew, die ’nen klasse Job gemacht hat und natürlich alle, die dem Spektakel beigewohnt haben! Hat arschviel Spaß gemacht und uns sehr gefreut! Ein kleiner Wermutstropfen sind lediglich die anscheinend vermehrten Taschendiebstähle, die diesmal auch vor den Besuchern der Onkel-Otto-Bühne keinen Halt gemacht haben, von denen wir aber glücklicherweise nicht betroffen waren. Die Nacht hielt noch so manches Kuriosum für uns bereit und wurde von mir kurzerhand durchgemacht, weshalb ich am Sonntag leider viel zu erledigt war, um doch noch der Jolly-Roger-Bühne einen Besuch abzustatten und mir beispielsweise SLIME zu geben, deren Gig die Pfeifen von der Alternative für Deppen (AfD) noch zu verhindern versucht hatten. Aber das ist ein anderes Thema…

P.S.: Danke auch an Katharina G. und Frank Obersheimer für die Fotos unseres Auftritts!

30.04.2016, Menschenzoo, Hamburg: SHEEP ON A TREE + CHANNEL RATS + C³I

sheep on a tree + channel rats + c³i @menschenzoo, hamburg, 20160430

Dass der Menschenzoo gleich drei Bands an einem Abend zocken lässt, dürfte anlässlich der Walpurgisnacht ein Novum gewesen sein. Obwohl ich zwischendurch und anschließend „auflegen“ (ich setze es in Anführungszeichen, da ich mich lediglich als Filejockey betätige, die guten Platten bleiben in den Schränken) sollte, hatte ich auch gar nicht geschnallt, dass das „C³I“ im Veranstaltungstitel eine weitere Band sein soll. So begann man dementsprechend früh; als ich wie üblich ca. 22:00 Uhr eintraf, lief gerade der vorletzte Song der Band mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen. Das klang nach töftem Punk mit deutschen Texte und wenn die sich nicht spontan aufgelöst haben (ein verbreitetes Hamburger Phänomen), wird sich sicherlich bald noch mal die Gelegenheit ergeben. Der Laden war bereits sehr gut gefüllt und C³I schienen allgemein sehr gut aufgenommen worden zu sein.

Die Hamburger CHANNEL RATS kannte ich bisher nur vom ’80er-WATERKANT-HITS-Sampler; neben weiteren Sampler-Beiträgen hatten sie 1984 ein Split-Album mit R.A.F.GIER aufgenommen, das ich nie gehört habe. Seit einiger Zeit spielt die Band wieder Gigs und hat sich einen verdammt jungen Drummer geangelt. Die schnörkellosen, vom Sänger mit Psychobilly-Flat auf der Murmel mal auf Deutsch, mal englisch vorgetragenen Songs irgendwo zwischen HC- und Streetpunk zündeten schnell und verdienen vielleicht nicht unbedingt den Status „vergessene Klassiker“, aber machten Laune, die Spielfreude der Band war durchaus ansteckend. Ihr einziger mir bekannter Song „A Night on the Graveyard“ erklang gleich zweimal, am Schluss nämlich noch mal in einer coolen Punkabilly-Version. Auch ein neuer, unveröffentlichter Song erwies sich als ziemlich hörenswert. Hat mir gefallen.

SHEEP ON A TREE sind ebenfalls HH-Altpunks, die bisher allerdings völlig an mir vorübergegangen waren. Gegründet 1989, veröffentlichte man 1990 mit „In Tune“ das bis dato einzige Album. Seit sie sich wieder zusammengetan haben, gehen sie wieder recht regen Konzertaktivitäten nach, doch bisher hatte es zeitlich bei mir nie gepasst. Für mich also, wie bei den CHANNEL RATS, ’ne Premiere beim Tanz in den Mai nach Hamburger Punkmanier. Sänger Hake sieht aus wie ein alter Seebär, singt ebenfalls zweisprachig und hat immer wieder ein bisschen MISFITS-Vibe in der Stimme. Unterbrochen wurde er von einem arschtighten Instrumentalstück, währenddessen der topfitte Drummer auch mal so richtig aufkacken konnte. Ansonsten war’s mehr so die Oldschool-Punk-Nummer mit einigen klasse melodischen Songs, die direkt ins Ohr gingen. Ins für mein Empfinden ungewöhnliche lange Set hatten sich aber auch ein paar unspektakulärere Stücke eingeschlichen, was das den Laden nun vollends ausfüllende (größtenteils Ü40-)Publikum nicht daran hinderte, Zugaben einzufordern – die es auch bekam. Am Ende verbeugte sich die Band höflich vor dem Pöbel, was ich im Menschenzoo auch noch nie gesehen habe. Veröffentlichungstechnisch soll sich wohl in Bälde noch etwas tun, also Augen und Ohren offen halten.

Soundmann Norman hatte die gesamte Zeit über alles prima im Griff, die Stimmung war gut und das Pils kühl und so war’s mir ein Vergnügen, dem Zoo anschließend noch meinen Musikgeschmack aus der Konserve aufzuzwängen – bis in die frühen Morgenstunden. Und dann war auch schon Mai und der Hafengeburtstag stand vor der Tür…

22.04.2016, Bambi Galore, Hamburg: VIOLATOR + NUCLEAR DEVASTATION + REVOLT + HYDROPHOBIC

violator + nuclear devastation + revolt + hydrophobic @bambi galore, hamburg, 20160422Das sog. Thrash-Revival hat mittlerweile ja auch schon mehr Jährchen auf dem Buckel, als die Hochzeit des Thrashs in den seligen Achtzigern überhaupt andauerte. Und es ist nicht frei von Kritik; viele bemängeln fehlende Eigenständigkeit aktueller Bands, das Unvermögen, echte Songs mit Widerhaken zu schreiben und inhaltliche Belanglosigkeit. So viel Spaß es mir bereitet, dass wieder so viele Oldschool-Thrash-Bands unterwegs sind, so kann ich angesichts vieler Veröffentlichungen diese Kritik zumindest im Ansatz auch nachvollziehen. In jedem Falle aber gibt es einige Bands, die dieser absolut erhaben sind; eine davon sind definitiv die Brasilianer Violator, die Headliner dieses denkwürdigen Abends in Hamburgs bester Metal-Adresse, der ruhmreichen Bambi Galore.

Vor Ort angekommen, hatte sich schon reichlich bekuttetes Volk vor der Tür versammelt, ein moderner „Ghettoblaster“ im handlichen Format dudelte geschmackvolle Klassiker von Toxik über Kreator bis Crucifixion (!) und das erste Bierchen lief die Kehle herunter. Satte vier Bands umfasste das Billing, den Anfang machte der fast-lokale Support HYDROPHOBIC aus Uelzen – die an diesem Abend sicher nicht ihr Publikum hatten. Für einen Oldschool-Abend verflixt moderner Deathcore bollerte aus der P.A. und wie so oft bei solcher und ähnlicher Mucke war’s technisch mitunter durchaus beeindruckend, musikalisch aber so gar nicht meins. Vor der Bühne hatte man sich nur spärlich versammelt und einige warfen den Musikern entgeisterte Blicke zu, als wären sie Außerirdische.

Schon ein anderer Schnack waren dann REVOLT (heißen wirklich genauso wie die Metal-Veranstaltungsreihe im Bambi, daher also prädestiniert) aus Wolfsburg, die mit ihrem nicht 100% oldschooligen, aber deutlich stärker den Musikgeschmack des Publikums bedienenden Thrash Metal auf ehrliches Interesse stießen. Aufputschendes, wenn auch nicht immer wahnsinnig originelles Riffing und heiserer, kehliger Gesang, aufgelockert durch ein paar spitze Araya-Tribut-Screams. REVOLT spielten mehrere neue Songs, die im Juni veröffentlicht werden sollen und überrascht bei einem von ihnen mit einer Offbeat-Einlage. Hat mir gut gefallen und war dann auch der eigentliche Anheizer des Abends.

Nun gab’s nämlich die ganz grobe Kelle in Form der Niederländer NUCLEAR DEVASTATION, die den Geschwindigkeitsrekord des Abends aufstellten. Räudiger Speedster-Thrash traf hier auf Hardcore-/Crust-Punk-Chaos und -Attitüde und trotzdem blieb hier und da Gelegenheit zu einem melodischen Gitarrensolo. Unablässig und vollkommen kompromisslos watschte sich die junge, hungrige Band musikalisch durch das nun langsam aber sicher durchdrehende Publikum. Herrlich gottloses Geprügel von der Bühne, vor ihr mittlerweile ein anständiger Pit. Für mich die Überraschung des Abends und ich hab‘ mir gleich mal ‘ne Split-7“ mitgenommen. Vernünftige Fotos hab‘ ich leider keine hinbekommen…

Gar nicht mehr so viel mitzunehmen dabei hatten VIOLATOR, denen man während ihrer Tour anscheinend (verständlicherweise) das Vinyl und die Leibchen nur so aus den Händen riss, so dass sie ohne Vinyl ihres aktuellen Albums und mit T-Shirts vornehmlich nur noch in Kindergröße hinterm Merch-Stand verweilten. Nachdem sie die Bühne betreten hatten, luden sie freundlich alle Anwesenden auf dieselbe ein („Our stage is your stage!“) – ein Angebot, das gern angenommen wurde, als VIOLATOR den Laden endgültig zum Überkochen brachten. Der Mob eskalierte quasi kollektiv, Stagediver stürzten sich immer wieder von der Bühne, Mikros wurden okkupiert (ein gewisser Niko H. aus S. erwies sich als begnadeter Metal-Sänger), durch die adrenalingeschwängerte Luft bzw. das, was von ihr übrig war, flog kiloweise wallendes Haupthaar (ein echter Gang-Bang sozusagen), Bierduschen verdampften sofort. VIOLATOR zelebrieren nicht nur ihren zeitlosen Oldschool-Sound, sondern haben auch etwas zu sagen, kotzen sich über diverse Missstände aus und begeistern mit ihrer punkigen Attitüde, runden so das Gesamtpaket perfekt ab. Die Band beschwor immer wieder genau diesen Spirit, der auf offene Ohren in verzückten Gesichtern überall in der rappelvollen Bude stieß und ich hatte im Vorfeld nicht geglaubt, dass ein Thrash-Konzert mit solchen Publikumsreaktionen 2016 in Norddeutschland noch möglich wäre. Zwischendurch riss einem der Gitarristen übrigens der Gurt, der unkompliziert und schnell von jemandem aus dem Publikum geflickt wurde. Trotz zahlreicher Zugabe-Ovationen war irgendwann Schluss und die Band zog sich mit der alten POISON-IDEA-Taktik aus der Affäre, dass man generell keine Zugabe gäbe, sondern sein gesamtes Pulver während des regulären Sets verschieße. Schon jetzt auf jeden Fall eines der Konzerte des Jahres, zu dem auch einige eigens von weiter her angereist gekommen waren (zwei von ihnen wurden im Anschluss unglücklicherweise in der U-Bahn ohne Fahrkarte erwischt, schöne Scheiße).

Danke ans Bambi und allen, die zu diesem Abend beigetragen haben! So muss Thrash.

16.04.2016, Villa Rotenburg, Rotenburg (Wümme): COCK-UPS + BOLANOW BRAWL + KOUKOULOFORI

007
Endlich mal wieder ein Auswärtsgig – natürlich einer mit Hindernissen. Aufgrund diverser Umstände fuhren wir tatsächlich mit drei verschiedenen Autos, ein Teil sogar per Bahn, die Strecke in Richtung Bremen, um nach und nach in der Villa im beschaulichen Rotenburg an der Wümme einzutingeln. Christian z.B. war eigentlich auf dem Punk & Disorderly in Berlin unterwegs, fuhr eigens für den Gig nach Rotenburg und direkt nach dem Auftritt wieder zurück. Zuvor allerdings verfuhr er sich im Ort des Geschehens, woraufhin man mit vereinten Kräften versuchte, ihm den Weg zu weisen und ihn schließlich am Bahnhof abholte. Als die Rasselbande endlich vereint war, wurde aus Zeitgründen auch der Plan über Bord geworfen, in der Mitte zu spielen und überließ diese Aufgabe KOUKOULOFORI, an deren Stelle wir nun den Abend musikalisch eröffneten.

Ich war zum ersten Mal in der Villa, die sich als überaus gemütlich eingerichteter selbstverwalteter Veranstaltungsort entpuppte, mit viel D.I.Y.-Geist und Liebe zum Detail. Oben ein zünftiger Tresen, Sofaecke und Küche, unten Konzertraum, kleine Bar und Getränkeausgabe. Faire Preise, Eintritt gegen Spende und zu futtern gab’s leckeres Chili mit Reis und Brot satt. Kompliment an die Köchinnen! Der Mischer kümmerte sich um die Soundchecks und warnte schon mal vor, dass es nicht immer ganz einfach sei, den Gesang voll zur Geltung zu bringen. Als wir uns auf der ebenerdigen „Bühne“ einfanden, um das gut aufgelegte Publikum in die Geheimnisse eines Bolanow Brawls einzuweihen, erzählte Stulle ein paar schlechte Witze und animierte zwei Einheimische damit, nach vorne zu kommen und folkloristisches rotenburgsches Liedgut zu schmettern. Einen besseren Einstieg kann man sich kaum wünschen und mit nahezu revolutionär umarrangierter Setlist, genauer: „Brigitte Bordeaux“ antworteten wir mit Bolanow-style Streetpunk und zockten uns anschließend durch all unsere Weisen. Zwar machte mir meine Erkältung etwas zu schaffen, ganz zu schweigen vom ungelüfteten, verqualmten Keller, aber Fenchelhonig und Bier halfen und mit sinnfreien Publikumsdialogen à la „Wer kommt alles aus Rotenburg… an der Tauber?“ etc. ließ sich prima Zeit zum Luftholen schinden. Nachdem ich in der Vergangenheit durchaus mal den falschen Song angesagt hatte, verrutschte diesmal meine Kapelle kollektiv in der Setlist, ansonsten blieb auch dieser Gig weitestgehend pannenfrei. Das dankbare Publikum forderte im Anschluss sogar mit Nachdruck eine Zugabe, worauf wir fast schon anfängermäßig unvorbereitet waren und schlicht nix mehr in petto hatten. Die coolste Antwort „Zugaben sind für Poser!“ fiel uns leider gerade nicht ein. Und auch, wenn sich bewahrheitete, was ich befürchtet hatte, nämlich dass meine Stimme doch wieder etwas untergegangen war, hat der Gig Lust auf mehr gemacht!

KOUKOULOFORI, die am Tag zuvor in Oldenburg gezockt hatten und Rotenburg quasi auf dem Rückweg mitnahmen, stammen wie alle Bands dieses Abends aus Hamburg. Der eigenständige Sound erinnert Stulle an PROPAGANDHI, womit man vielleicht ‘nen stilistischen Anhaltspunkt hat. Engagierte, kritische deutsche Texte, sowohl ruppigere als auch melancholisch-melodische Songs, sogar ‘ne Offbeat-Nummer – das weiß stets zu gefallen, zumal das Trio über einen der besten Hamburger Punk-Drummer verfügt, dem zuzusehen der reinste Drum-Porno ist. Kam auch allgemein gut an und mindestens ein Rotenburger Altpunk dankte es gar, indem er sich vor der Band auf dem Boden herumrollte und seine Sympathiebekundungen durchs ausgeschaltete Mikro, das noch von unserem Gig dastand, mit dem ganzen Publikum zu teilen versuchte.

Apropos, so ganz die Jüngsten sind zwei Viertel der COCK-UPS auch nicht mehr, wollen’s dafür umso stärker noch mal wissen. Das Quartett um Nietenkaiser und Shouter Sven hat ex-IN-VINO-VERITAS, jetzt-ARRESTED-DENIAL-Gitarrero Sascha in seinen Reihen und war damit neben KOUKOULOFORI die zweite Band des Abends, die sich ein Bandmitglied mit den Hamburger Streetpunks teilt. Sven stellte sich zwischenzeitlich als Cyndi Lauper vor und Sascha trat mit (gern auch mal übers Gesicht gezogener) Wollmütze und ein paar Kilo weniger auf den Rippen, dafür ein paar atü mehr auf dem Kessel auf. Musikalisch klang das für mich wie ’77-Punk meets THE EXPLOITED und damit durchaus reizvoll, schön schnörkellos und frontal. Beim ein oder anderen Song wütete sich Sven durchs Publikum, die kompetente Version von ANGELIC UPSTARTS‘ „Teenage Warning“ widmete man kurzerhand uns und auch das „Now I Wanna Be Your Dog“-Cover ging gut in Bein und Hüfte. Sascha verarschte permanent KOUKOULOFORI und bezichtigte sie des Studentenpunks; diese wiederum sind gut eskaliert und haben versucht, sich mit Sabotage-Akten wie dem Überkleben der Setlist zu rächen. Sehr unterhaltsame Showeinlage. Leider reichte die Aufmerksamkeitsspanne manch Villa-Besuchers nicht für drei Bands, so dass unverständlicherweise der Zuspruch abgenommen hatte, statt auf seinem Höhepunkt anzulangen. Der Band war’s glücklicherweise egal und hatte ebenfalls sichtlich Spaß an ihrem schweißtreibenden, angenehm dreckigen Gig.

Trotz zur Verfügung gestellter Pennplätze und avisierten Frühstücks machten sich nach und nach alle aus dem Staub, meine sonst so trinkfreudigen und feierwütigen Bandkollegen waren aus diversen Gründen sogar schon direkt nach unserem Gig kollektiv abgehauen. Mich und meine persönliche kleine Reisegruppe um Bleifuß-Chaffeur Dave zog es zurück nach Hamburg, als doch tatsächlich das Bier alle war (!), jedoch nicht, ohne mich herzlich für die die Einladung und die Gastfreund zu bedanken. Tolle Arbeit, die da (hoffentlich noch lange!) in der Villa geleistet wird und wir kommen beizeiten sehr gern wieder! Dann wird die „Total Escalation“ auch wieder wörtlich genommen…

P.S.: Danke an Katharina für unsere und die KOUKOULOFORI-Fotos.

Copyright © 2025 Günnis Reviews

Theme von Anders Norén↑ ↑