Günnis Reviews

Kategorie: Bücher (page 12 of 22)

Peter Jäger – Eddie will leben

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden diese Zeilen gerade auf einem Computer-Bildschirm oder mobilen Endgerät gelesen. Vor gar nicht allzu langer Zeit jedoch gab es das World Wide Web noch gar nicht, gelesen wurden vornehmlich Print-Publikationen. Alles, was gelesen werden wollte, musste gedruckt werden, egal ob Buch, Zeitung, Reklame oder die Menükarte des Pizzadiensts. Der Siegeszug des Internets bedeutete jedoch nicht nur einen Rückgang an Print-Auflagen, sondern auch einen erbitterten Konkurrenzkampf klassischer Offset-Druckereien mit überregional erreich- und nutzbaren Druckanbietern, die ihre Dienste im Netz offerierten und dank automatisierter Abläufe trotz der Portokosten günstiger anbieten konnten.

Der Quickborner Lokaljournalist/-chronist, Kinderbuch- und Roman-Autor Peter Jäger hatte in den 1970ern selbst in einer Offset-Druckerei gearbeitet und griff dieses Thema für seinen nach „Kalte Wasser“ zweiten Roman „Eddie will leben“ auf, erschienen im Taschenbuch-Format im März 2015 im Kadera-Verlag. Auf knapp 300 Seiten beschreibt Jäger den Überlebenskampf Eddie Buchholz’, dessen Norderstedter Druckerei am Gutenbergring unter dem Online-Konkurrenzdruck ächzt und in finanzielle Schieflage gerät. Es gilt, möglichst alle sieben Arbeitsplätze zu erhalten. Als er seinen Mitarbeiter(innen) jedoch eröffnen muss, das Weihnachtsgeld wahrscheinlich nicht auszahlen zu können, stößt er auf Unverständnis. Und während er noch überlegt, wie er neue Aufträge an Land ziehen und seinen Betrieb zukunftsfähig aufstellen kann, wird sein Garagentor beschmiert und erleidet er einen Herzanfall. Glücklicherweise stehen seine Familie und Freunde ihm mit Rat und Tat zur Seite, doch die Situation bleibt prekär. Ob Sven, der Lebensgefährte seiner Tochter Monika und Inhaber einer Werbeagentur, tatsächlich behilflich sein kann, die Traditionsdruckerei wieder in wirtschaftlich rentable Fahrwasser zu lenken? Darüber hinaus muss Eddie dringend kürzer treten und lernen, Verantwortung abzugeben – nicht nur seine besorgte Ehefrau Hanna würde es ihm danken…

„Eddie will leben“ spielt kurz nach der Jahrtausendwende, in den Jahren 2001/2002, und verwebt ein aus zahlreichen unterschiedlichen Perspektiven von einem allwissenden Erzähler wiedergegebenes Mittelstands-Drama mit gleich mehreren persönlichen Schicksalen sowie geballtem Zeit- und Lokalkolorit. In einer Vielzahl episodischer Kapitel erfahren Leserinnen und Leser nicht nur von den typischen Problemen einer kleinen Mittelstandsdruckerei, sondern auch von der damaligen Lage im an die schleswig-holsteinische Kleinstadt Norderstedt angrenzenden Hamburg (die rechtspopulistische „Schill-Partei“ um Ex-Richter und Dumpfbacke Ronald Schill war gerade an die Macht gewählt worden), von einer Vielzahl real existierender Orte und von den Befindlichkeiten verschiedenster mit Eddie verbandelter Menschen.

All dies führt leider dazu, dass sich die Geschichte immer wieder in seifigen Trivialitäten, Belanglosigkeiten und Geplänkel zu verlieren droht und die vielen Erzählstränge verwirren. Lokal- und Zeitbezüge wirken oftmals etwas bemüht, dass die Protagonist(inn)en sich ständig in irgendwelchen Centern treffen, mutet reichlich ungemütlich an, und die Nennung zahlreicher realer Markennamen grenzt an Product Placement. Altertümliche Sprüche und laue Witzchen erscheinen genauso bieder wie die ermüdend detaillierten Beschreibungen der Weihnachtsfeierlichkeiten, anlässlich derer Seidenfliegen und Fußpflegegutscheine verschenkt werden und man sich darüber freut, nachdem man sich am Esstisch über gereizte Gallen und Prostatabeschwerden ausgetauscht hat. Der blanke Familienhorror, hier verpackt als anheimelnd wirken sollender Realismus. Andere Dialoge würde so wohl nie jemand in der Realität führen:

„Ich esse knusprige Ente“, entschied Vera, ohne in die Speisekarte zu schauen. „Und du magst es bestimmt lieblich, Hanna, das weiß ich. Du bekommst die Ente mit Ananas.“
„…und beide Damen sind selbstverständlich meine Gäste“, ergänze Waldemar mit charmanten [sic!] Lächeln. „Ich habe mich übrigens für Rindfleisch mit Gemüse entschieden, das kommt hier knackig aus dem Wok.“ (S. 194)

Weniger gestelzt klingt es, wenn Werbefuzzi Sven sich mit Arbeitskampf konfrontiert sieht:

„Was für ein jämmerliches Palaver um lächerliche Weihnachts-Zahlungen. Die Rädelsführer besaßen die Reife von matschigen Birnen, sonst hätten sie brauchbare Ideen eingebracht, um ihre Arbeitsplätze zu retten. Schade, dass Eddie den Glatzkopf Kessler so schnell beiseite geschoben hatte. Ein Vergnügen wäre es ihm gewesen, dem Großmaul ein paar harte Haken zu verpassen.“ (S. 58)

Dazu sei angemerkt, dass jener Sven nicht etwa die Rolle eines Antagonisten einnimmt. Generell wird zwischen den Zeilen immer wieder vermittelt, es sei ein Unding, dass die Belegschaft auf ihren vertraglich vereinbarten Weihnachtslohn besteht. Es scheint sich aber ohnehin um einen seltsamen Menschenschlag zu handeln, der sich gegenseitig betrügt, Verständnis für die indiskutable „Schill-Partei“ äußert (Eddie) oder überdramatisierend mit Weglaufen droht (Hanna) – ohne dass all dies sonderlich problematisiert würde. Und statt im Zusammenhang mit Eddies Druckerei begangene handfeste Verbrechen aufzuklären, schließt „Eddie will leben“ mit einem irritierend kitschigen „Wird schon weitergehen“-Ende.

Lokaljournalismus lebt von der geschalteten Werbung seiner regionalen Anzeigekunden, weshalb ihm diese meist besonders am Herz liegen. Jäger als verdienter Lokaljournalist dürfte mit seinem Buch eine Lanze für kleinere regionale Betriebe haben brechen und Verständnis für ihre oft schwierige Situation wecken wollen, insbesondere angesichts immer globaler werdenden Konkurrenzdrucks durch das Internet. Offenbar unfreiwillig gelang Jäger stattdessen eine Art Porträt unsympathischer Menschen, denen man sicherlich vieles, nur nichts Gutes wünscht und die diverse Branchenklischees erfüllen, während sich die Geschichte wenig differenziert auf ihre Seite schlägt und für die Nöte sowie berechtigten Forderungen ihrer Angestellten nicht viel übrig hat. Nicht seinen besten Tag erwischt hatte offenbar auch das Lektorat, dem ein Anachronismus wie Facebook-Nutzung (die damals noch gar nicht möglich war) ebenso durchrutschte wie „Katheder“ (statt Katheter), „ein Paparazzi“ u.ä. So hinterlässt die Lektüre einen letztlich unbefriedigenden Eindruck, was schade ist, da das Konzept – realistische konfliktreiche Geschichten „aus der Nachbarschaft“ mit Insider-Wissen vor realer Kulisse erzählt – durchaus vielversprechend erscheint.

TV-Jahrbuch 1990 – Die Fernseh-Höhepunkte: Filmhits und Serien, Sport, Stars und Klassiker

ISBN: 3-927779-04-0

Nachdem die Redaktion der Kinozeitschrift „Cinema“ Ende 1988 das Buch „Spielfilme 89 – Die Höhepunkte des Fernseh-Jahres“ herausgebracht hatte, firmierte dessen Nachfolger, das Ende 1989 erschienene „TV-Jahrbuch 1990“, unter „Video Plus“ – einem 1989 ins Leben gerufenen „Cinema“-Ableger, der sich vornehmlich dem aktuellen Heimkino-Angebot widmete. Als Verlag wurde nun nicht mehr die Kino Verlag GmbH, sondern die Video Zeitschriften Verlag GmbH angegeben. Neben den von den Sendern bestätigten Spielfilm-Höhepunkten des frei empfangbaren TV-Programms wurde der Inhalt des 188 Seiten starken Bands um TV-Serien, Sport-Großereignisse und einen Statistikteil erweitert. Außerdem war, wie bereits dem broschierten Einband zu entnehmen ist, ein weiterer TV-Sender hinzugekommen: Zu den sechs bekannten aus dem Jahr 1989 gesellte sich nun Pro7. Stallone im Allgemeinen und sein trashiger „Over The Top“ im Speziellen schienen damals zu ziehen, so schaffte sein entsprechendes Motiv es aufs Cover (nachdem er auf dem Vorgänger bereits als Rocky abgebildet war) und gilt jenem Film auch der erste Artikel.

Die Erstausgabe der „TV Spielfilm“ ließ noch bis August 1990 auf sich warten, sodass auch diese Buchveröffentlichung Sinn ergab. Die Rubriken lauteten nun „Spielfilme 1990“, „Serien 1990“, „Erotik 1990“, „Stars 1990“, „Sport 1990“ und „Statistik“, neben einem allgemeinen Editorial des Chefredakteurs Willy Loderhose jeweils von einem eigenen, die damalige Entwicklung reflektierenden Vorwort eingeleitet. Ein Jahresplaner zum Ausklappen lieferte eine tabellarische, grob kalendarische Übersicht, in welchem Monat jeweils mit welcher Ausstrahlung auf welchem Sender zu rechnen war. Tele5, Sat.1 und Pro7 allerdings konnten offenbar noch nicht so weit in die Zukunft planen und der Redaktion daher nur unvollständige Angaben übermitteln. Der Spielfilmteil bildet weiterhin das Herzstück und wurde noch einmal in die Unterkategorien „Filmhits des Jahres“ (darunter „Over The Top“, „Moonraker“ und „Barfly“), „Filmreihen“, „Filmhits im Fernsehen“ und „Filmklassiker“ unterteilt. Bis auf zwei Ausnahmen („Moonraker“ und „1900“) handelte es sich bei den „Filmhits des Jahres“ um mutmaßlich bisher selten oder noch gar nicht im Free-TV gelaufene Filme von Mitte bis Ende der 1980er.

Offenbar hatten seinerzeit auch die Privatsender das Konzept der Filmreihen für sich entdeckt. So strahlte Sat.1 gleich fünf Filme Akira Kurosawas aus und Pro7 sendete sage und schreibe 19 Filme mit Beteiligung Humphrey Bogarts – sowie neun Filme Claude Chabrols. Das ZDF widmete sich Woody Allen, den Marx Brothers, Fritz Lang, Jean-Luc Godard und Roger Corman (!), das ARD hält mit dem Neuen britischen Kino leidlich dagegen. Die meisten innerhalb dieser Reihen gezeigten Filme werden nicht ausführlich vorgestellt, sondern sind Teil einer allgemeinen, im Fließtext verfassten Abhandlung über den Aufhänger der jeweiligen Retrospektive. Die eher sinnfrei betitelte Rubrik „Filmhits im Fernsehen“ wartet erneut mit jeder Menge Filmstoff aus den vergangenen fünf 1980er-Jahren auf, lediglich neun Titel sind älter. Es finden sich u.a. Filme wie „Mein wunderbarer Waschsalon“, „Der Joker“ mit Peter Maffay (seinerzeit von mir auf VHS mitgeschnitten), „Die Maske“, der mich zu Tränen rührte, sowie die kultige „House“/“House II“-Doppelbedienung, seinerzeit in umgekehrter Reihenfolge auf RTL plus gelaufen, anmoderiert und um ein Horror-Quiz ergänzt – auch diese Ausstrahlung befindet sich in meinem VHS-Archiv. Leider fehlen zum Teil die Längen- und Jahresangaben zu den Filmen. Auch bei den Klassikern, die keiner Filmreihe zugeordnet wurden, tat sich das ZDF mit Titeln wie „Ben Hur“, „La Dolce Vita“ und „Doktor Schiwago“ hervor – und RTL plus überraschte mit Ingmar Bergmans „Das Schlangenei“.

Die meisten Filmvorstellungen sind erneut mit großformatigen Szenenfotos illustriert und schwanken zwischen Inhaltsangaben (teilweise mit Spoilern), Hintergrundinformationen und oberflächlichen Kritiken. Das Durchblättern und Schwelgen in Erinnerungen macht dann auch mehr Spaß als das Lesen an sich, wobei sich auch für kundige Filmfreaks immer mal wieder ein Geheimtipp oder vergessenes Highlight finden dürfte. Vor allem drängt sich das Fazit auf, dass 1990 gerade auch durch die Dualisierung des Fernsehmarkts ein gutes TV-Jahr für Filmfreunde war – zumal die Privatsender die Filme i.d.R. noch durch lediglich eine einzige Werbepause unterbrachen.

Der Serienabschnitt kann sich ebenfalls sehen lassen: Der 1960er-Jahre „Batman“ mit Adam West erlebte auf Sat.1 seinen zweiten Frühling, David Hasselhoff durfte weiter den „Knight Rider“ geben, RTL plus bot mit „Wunderbare Jahre“ ein noch immer mit am stärksten auf dem Heimkinomarkt vermisstes Serien-Highlight sowie mit „Doctor Who“ abgefahrenen Stoff für Science-Fiction-Fans, „Alf“ kehrte im ZDF zurück und ebendort trat eine neue Enterprise-Besatzung in „Star Trek – The Next Generation“ ihren Dienst an. Die Eigenproduktion „Peter Strohm“ flimmerte in der ARD, wo auch die „Duck Tales“ ihr Zuhause fanden, usw.

Der Erotikteil wurde losgelöst vom übrigen Inhalt und somit separat behandelt, eingeleitet von einer allgemeinen Abhandlung über erotische Formate im TV, auch über Spielfilme hinaus (Stichwort: „Tutti Frutti“ & Co.). Mit lediglich drei Filmen – „Das große Fressen“, „L’Amour braque“ und „Belle de Jour“ – ist dieser Bereich jedoch arg dünn besiedelt. Anders das Kapitel „Stars 1990“, das Manfred Krug, Ulrike Folkerts, Götz George, Thomas Gottschalk, Desirée Nosbusch, Uschi Nerke, Erika Berger, Renan Demirkan, Hella von Sinnen, Karl Dall, Tom Selleck und David Hasselhoff porträtiert und Informationen zu ihren damaligen TV-Auftritt liefert. Mit den Ausblicken auf damals zukünftige Aktivitäten (Beispiel Gottschalk: „Fest steht bisher nur, dass [er] ab Juli 1990 eine 45-minütige Sendung für den privaten Fernsehsender machen wird.“ – bekanntlich wurde daraus Deutschlands erste echte Late-Night-Show auf RTL plus), die mit dem bisherigen Verlauf der Karriere verknüpft werden, ist dieser Bereich besonders lesenswert. Im Sportteil sind dann Tennis und „Italia ’90“, die Herren-Fußballweltmeisterschaft in Italien, Thema. Ein sachlicher, mit vielen Zahlen unterfütterter Hintergrundartikel zum Tennis ruft ins Gedächtnis, dass die Privatsender damals großen Anteil daran hatten, diesen Sport ins Fernsehen zu bringen, sodass 1989 so viel Tennis im deutschen TV lief wie nie zuvor. Der Ausblick auf die Fußball-WM liest sich natürlich mit besonderer Genugtuung. Der Statistikteil schließlich liefert diverse Übersichten über Marktanteile, Einschaltquoten u.ä. des Fernsehjahres 1989.

Ein Inhaltsverzeichnis, ein Index  und ein ausführliches Adressverzeichnis runden diesen Band ab, der wie sein Vorgänger auf festem, wertigem Papier gedruckt wurde und sich prima in den Regalen sowohl von TV-Nostalgiker(inne)n als auch Medienforscher(inne)n macht. Größter Wermutstropfen: Die o.g. unvollständigen Angaben dreier Privatsender.

Spielfilme 89 – Die Höhepunkte des Fernseh-Jahres

ISBN: 3-89324-037-3

Noch bevor die Redaktion der damals größten Filmzeitschrift Europas, der „Cinema“, die TV-Zeitschrift „TV Spielfilm“ ins Leben rief, brachte sie Ende 1988 ihr erstes Jahrbuch für Spielfilme heraus, die im nahenden Folgejahr innerhalb des Fernsehprogramms der damals noch übersichtlichen bundesdeutschen Senderlandschaft laufen sollten. Die Filmauswahl wurde damals langfristig geplant, die genauen Termine standen jedoch noch nicht fest. Wo zumindest der Monat bekannt war, wurde er angegeben.

Natürlich wandte sich das 196 Seiten starke Buch seinerzeit an Filmfreunde, die einen Überblick übers kommende Filmprogramm erhalten wollten. VHS-Kassetten mit Spielfilmen waren teuer, die Videorekorder liefen daher heiß, wenn sehenswerte Filme im TV liefen. Doch es ist auch in der Retrospektive interessant, sich einmal vor Augen zu führen, wie sich das Spielfilmangebot des Fernsehens damals eigentlich zusammensetzte – vor allem, wenn man wie ich damals selbst gerade begann, TV-Zeitschriften auf der Suche nach Highlights zu studieren und diese auf Videokassetten mitzuschneiden (die sich größtenteils noch immer im Privatarchiv befinden). Auf der persönlichen Ebene also durchaus ein nostalgisches Vergnügen, auf der Meta-Ebene ein aufschlussreicher Einblick in die Entwicklung des Mediums.

Aufgeteilt ist der Band in die Rubriken „Die Filme des Jahres“, „Die Klassiker“, „Retrospektiven und Reihen“ und „Filmhits“. Nicht immer wird deutlich, nach welchen Kriterien die Zuordnung der Filme in welche Rubrik stattfand. „Die Filme des Jahres“, mit denen das Buch nach einem Vorwort des Chefredakteurs Willy Loderhose eröffnet, umfasst lediglich acht Spielfilme, die die Redaktion offenbar als besonders herausragend erachtet hat und die bis dahin (wenn überhaupt) noch nicht allzu häufig im TV ausgestrahlt wurden: „2001 – Odyssee im Weltraum“, dessen Fortsetzung „2010“, „Gandhi“, „Jenseits von Afrika“, „Zurück in die Zukunft“ u.a. wurde diese Ehre zuteil. „Die Klassiker“ haben allesamt bereits ein paar Jährchen auf dem Buckel, was jedoch auch auf viele „Filmhits“ zutrifft. Davon unabhängig macht es aber Spaß, Titel wiederzuentdecken, die man damals aufgrund ihrer TV-Ausstrahlungen tatsächlich erstmals gesehen hat.

Interessant ist der Bereich „Retrospektiven und Reihen“, aus dem hervorgeht, welchen Regisseuren, Schauspielern und cinematischen Phänomenen vornehmlich die Öffentlich-Rechtlichen besondere Bedeutung beimaßen, indem sie sie mit mehreren Ausstrahlungen verschiedener Filme bedachten. Allen voran findet sich hier Alfred Hitchcock, aber auch Truffaut, Cassavates und Chandler wurden ins Gedächtnis gerufen. Weitere Reihen sind personalübergreifend und wurden unter „Glasnost im sowjetischen Kino“, „Hollywood Boulevard“ und „Junges amerikanisches Kino“ zusammengefasst.

Wie aus dem „Cinema“-Magazin gewohnt, wird viel mit großformatigen Szenenfotos gearbeitet und werden die einzelnen Filme mal mehr, mal weniger ausführlich abgehandelt. I.d.R. handelt es sich mehr um Filmvorstellungen als um -kritiken. Einige Hintergrundinfos, Einordnungen und manch treffender Kommentar stellen jedoch einen Mehrwert gegenüber dem reinen Abdruck kritikloser Promotexte oder Inhaltsangaben dar. Auffällig ist bisweilen aber auch, wie selbstverständlich man immer wieder Enden und Pointen spoilerte.

Hier und da hätte das Lektorat gern etwas genauer hinsehen können; davon und von den anderen genannten Kritikpunkten weitestgehend unabhängig bietet „Spielfilme 89“ aber einen schönen Überblick über das Spielfilm-TV-Programm von vorgestern, für den man dank Bücher wie diesem keine antiquarischen TV-Zeitschriften wälzen muss. Ein solcher Überblick könnte beispielsweise von Interesse werden, möchte man das Spielfilmangebot damaliger Öffentlich-Rechtlicher mit dem der Privatsender (damals Sat.1, RTL und Tele5) vergleichen. Ein Inhaltsverzeichnis und ein Index runden das auf festem, wertigem Papier gedruckte hochformatige Nachschlagewerk im broschierten Einband ab.

Metal Hammer Sonderheft Legenden: BLACK SABBATH

Seit der „Metal Hammer“, immerhin Deutschlands erstes Heavy-Metal-Magazin, sich an den Springer-Verlag verkauft und in die journalistische Bedeutungslosigkeit verabschiedet hat, lese ich ihn eigentlich nicht mehr. Was ich aber mag, sind umfangreiche Specials in Postillen wie „Rock Hard“ oder „Deaf Forever“ sowie Sonderhefte zu Musikstilen oder Bands, die mich grundsätzlich interessieren, zu denen ich aber (noch?) keine dicken Schmöker wälzen möchte. Ein solcher Fall sind die britischen Metal-Pioniere, ja, gar Genre-Urväter BLACK SABBATH, in deren umfangreicher Diskographie ich immer wieder etwas Neues für mich entdecke und mit denen sich hin und wieder zu beschäftigen einfach Spaß macht. Dieses 132-seitige Sonderheft, die Nr. 2 der „Legenden“-Sonderheftreihe des Metal Hammers, kam mir daher recht, zumal es mir mein Tätowierer nach seinem Erscheinen 2015 empfohlen hatte. Nachdem es an den Kiosks vergriffen war, ließ es sich problemlos für 8,90 EUR nachbestellen und irgendwann kam ich dann auch tatsächlich zur Lektüre.

2015 war das Abschiedsalbum „13“ veröffentlicht und längst durch die Decke der Verkaufscharts gegangen, die Abschiedstour hingegen stand noch bevor. Kein schlechter Zeitpunkt für eine umfangreiche Historie und Bestandsaufnahme. Angereichert mit vielen tollen, großflächigen Fotos enthält das Heft damals aktuelle Interviews mit dem geschassten Original-Drummer Bill Ward sowie mit Bandkopf Iommi und Original-und-dann-wieder-Sänger Ozzy Osbourne, eine 15-seitige aufschlussreiche Bandgeschichte aus der Feder Frank Thiessies sowie Hintergrundinformationen und Kritiken zu jedem einzelnen Studioalbum, also auch aus der Dio- und Martin-Ära und den eher kurzen Gastspielen diverser anderer Sänger. Auch das unter dem Namen „Heaven & Hell“ veröffentlichte Comeback-Album mit Dio wird berücksichtigt. Auf Steckbriefe der Musiker der Urbesetzung folgen Fließtext-Portraits aller (!) verschiedenen BLACK-SABBATH-Mitglieder sowie von Produzenten und Managerinnen. Darüber hinaus werden Bands vorgestellt, die massiv von BLACK SABBATH beeinflusst sind, und huldigen unterschiedlichste Musiker in ein paar persönlichen Worten der Band. Anekdotensammlungen und ein „Experten-Quiz“ runden das Sonderheft ab, nicht zu vergessen das auf beiden Seiten bedruckte Poster (Bandfoto, andere Seite: Ozzy allein).

Das ist durchaus eine geballte Informationssammlung, die durchzuackern nicht nur recht erquicklich ist, sondern bestimmt auch das eine oder andere wieder ins Gedächtnis ruft bzw. erstmals denjenigen vermittelt wird, die die Entwicklung der Band weniger intensiv mitverfolgt haben. Zudem werden einem der Status der Band und die Gründe für diesen noch einmal vor Augen geführt. Schade ist, dass überhaupt nicht auf die unterschiedlichen Live-Alben eingegangen wird. Ferner begehen Redakteure wie Thiessies oder Matthias Weckmann den Fehler, im Diskographie-Teil den Leserinnen und Lesern ggü. ihren eigenen Geschmack durchdrücken zu wollen, statt zu versuchen, ein wenig sachlicher zu bleiben. Manch guter Song oder auch eindrucksvolles Plattencover bleibt dabei von ihnen unerkannt, Irrtümer hinsichtlich der Qualität bestimmter Alben werden wiedergekäut. Gerade auf den letzten Seiten des Hefts hätte man sich zudem manch Gossip verkneifen können, der „Bravo“ & Co. besser zu Gesicht gestanden hätte. Der Umgang mit Grammatik und Zeichensetzung ist mitunter auch, sagen wir mal, „originell“. Alles in allem hat das Heft für mich persönlich aber seinen Zweck erfüllt und eine weitere Vertiefung der Auseinandersetzung mit der Band und ihrem Werk ermöglicht. Wer bereits alles über BLACK SABBATH weiß, braucht es sicherlich nicht; wer hingegen wie ich die Band erst langsam und nach und nach für sich entdeckt (hat), kann ja mal nach einem gebrauchten Exemplar Ausschau halten. Ich hoffe derweil, nach dem offiziellen Ende der Band doch noch einmal die beiden Tonys Iommi und Martin zusammen die Götteralben „Headless Cross“ und „Tyr“ live aufführen sehen zu können…

Das Nibelungenlied

Das Nibelungenlied ist eine mittelalterliche, im 13. Jahrhundert und demnach in Mittelhochdeutsch verfasste Niederschrift der Nibelungensage, welche wiederum bereits damals seit Jahrhunderten in unterschiedlichen Fassungen meist mündlich überliefert wurde. Ihr Ursprung schien da schon um die 800 Jahre zurückzuliegen. Der Verfasser ist unbekannt, man munkelt jedoch, das Nibelungenlied stamme aus dem Passauer Raum. Bekannt sind die drei Handschriften A, B und C, die sich in Teilen voneinander unterscheiden. Das Heldenepos folgt in dieser rund 1.000-seitigen Reclam-Ausgabe der Handschrift B und wurde um eine neuhochdeutsche Prosaübersetzung sowie einen ausführlichen, oft hilfreichen Kommentar erweitert, beide aus der Feder Siegfried Grosses. Herausgeberin des Bands ist Ursula Schulze. Mir liegt eine Ausgabe aus dem Jahre 2018 vor, die ferner über ein Literatur- und Namenverzeichnis, ein Nachwort etc. verfügt und sich somit für die wissenschaftliche Analyse anbietet.

Die Handlung ist in zwei zusammenhängende, aufeinander aufbauende Erzählstränge aufgeteilt, die wiederum in insgesamt 39 kapitelähnliche „Âventiuren“ unterteilt sind. Der Handlungszeitraum erstreckt sich über ca. 50 Jahre, wobei passive Zeiträume weitestgehend unerwähnt bleiben und somit Zeitsprünge von z.B. 13 Jahren enthalten sind. Der Erzähler wechselt ohne festes Schema zwischen Erzählung und Dialog und wendet eine bestimmte Formel an, die das Nibelungenlied in Strophen aus jeweils vier Versen strukturiert, wobei die ersten und letzten beiden Verse jeweils Paarreime bilden.

Der erste Erzählstrang berichtet von Kriemhilds erster Ehe mit Siegfried und Siegfrieds Tod, der zweite erzählt ausführlich Kriemhilds Rache: Der junge Held und Drachentöter Siegfried (alias Sigurd) aus Xanten am Niederrhein tötete einen Drachen, badete in seinem Blut und wurde dadurch unverwundbar – außer an einer Stelle zwischen seinen Schulterblättern, wo sich ein Lindenblatt auf seinen Körper gelegt hatte. Mit einer Tarnkappe kann er sich zudem unsichtbar machen. Durch die Eroberung des Nibelungenschatzes ist er überaus vermögend. Er begibt sich an den Königshof nach Worms, wo er Kriemhild, König Gunthers Schwester, ehelichen möchte. Gunther verspricht ihm Kriemhild, wenn er ihm zuvor behilflich ist, die übermenschlich starke Brunhild, Königin von Island, zu erobern. Dafür muss er sie im Kampf besiegen. Es kommt zur Vasallenlist und zum Brautwerbungsbetrug: Siegfried gibt sich als Gunthers Gefolgsmann aus und macht sich unsichtbar, um Gunther tatkräftig zum Sieg zu verhelfen. Auch in Brunhilds und Gunthers Hochzeitsnacht muss er noch mal ran, indem er Gunther dabei hilft, die unwillige Brunhild zu vergewaltigen. Zudem stiehlt er Brunhilds Gürtel und Ring. Brunhild ist nun endgültig eine besiegte Frau – die jedoch damit hadert, dass Kriemhild, die nun mit Siegfried verheiratet ist, einen Vasallen Gunthers und damit unter ihrem Stand geheiratet habe (schließlich weiß sie nichts von der Vasallenlist). Das kann Kriemhild nicht auf sich sitzen lassen; es kommt zum Königinnenstreit, in dessen Zuge Kriemhild ihre Widersacherin öffentlich düpiert. Der undurchsichtige und listige Hagen von Tronje, Gunthers und Brunhilds Vasall, empfiehlt daraufhin, Siegfried zu ermorden, nachdem er mit viel Tücke Kriemhild das Geheimnis abringen konnte, wo sich die verwundbare Stelle ihres Gatten befindet. Auf einem fingierten Jagdausflug ersticht er schließlich den Drachentöter hinterrücks. Zwar leugnet er die Tat zunächst gegenüber Kriemhild, doch diese sinnt auf Rache. Vorsichtshalber versenkt Hagen den Nibelungenschatz im Rhein, damit Kriemhild keinen Zugriff mehr auf ihn hat. Nach 13 Jahren der Trauer heiratet sie den Hunnenkönig Etzel und lädt ihre Brüder Gunther, Gernot und Giselher auf ihren ungarischen Königshof ein, wohlwissend, dass sie in Hagens Pläne eingeweiht waren – und dass der Verräter ihre Brüder begleiten würde. Dort kommt es nach einem anfänglichen vorsichtigen Abtasten zu einem unfassbaren Gemetzel, das kaum jemand überlebt, kein Krieger, keine Frau, kein Kind…

Soweit die grobe Inhaltsangabe dieses Fantasy-Splatter-Epos. Aber wie liest es sich denn nun? Zunächst einmal gar nicht, denn Mittelhochdeutsch wirkt aus heutiger Sicht wie eine Fremdsprache, man müsste ständig mit dem Wörterbuch dasitzen und Vokabeln übersetzen. Hat man bei 2.376 Strophen natürlich keinen Bock drauf, außer man ist ein unverbesserlicher Mittelalter-Freak. Glücklicherweise gibt es ja die neuhochdeutsche Übersetzung. Bei dieser reimt sich nichts mehr, was die Strophenform recht gewöhnungsbedürftig macht. Zudem versucht sie sich daran, einen schwülstigen mittelalterlichen Duktus aufrechtzuerhalten, wodurch die Sprache geschwollen und überkitschig wirkt. Das entbehrt auch nicht einer unfreiwilligen Komik, wenn etwa der sterbende Siegfried, der gerade ein Schwert zwischen die Schultern gejagt bekommen hat, spricht: „Die Tat wäre besser unterblieben.“ Die Âventiuren-Aufteilung erscheint eher inkohärent, die Einhaltung der syntaktischen Formel ist im Original wichtiger als der Inhalt, womit auch die Übersetzung zu kämpfen hat, und die Zeitsprünge sind mitunter krass. Zwar brach das Nibelungenlied stilistisch mit ein paar Dichtungsparadigmen, mit dem Holzhammer in Form geklopft wirkt es mitunter dennoch. Und in heutigen Zeiten, in denen zu erschlagen werden droht, wer TV- oder VoD-Serienverläufe spoilert, irritieren die zahlreichen Vorausdeutungen, die regelmäßig spätere Entwicklungen vorwegnehmen, doch arg.

Das höfische Leben, seine Etikette und seine Figuren werden stark idealisiert, was irgendwann zu nerven beginnt. Auch Siggi, der sich bis zu seiner Ermordung eigentlich permanent selbst unlauter verhalten hat, wird man nicht müde, als ach so kühnen, stolzen Oberhelden zu bezeichnen – was die Lesart erschwert, dass es sich bei ihm einen zwar gutaussehenden und starken Mann, aber auch um einen einfältigen Deppen handelt (wie sie als Interpretationsmöglichkeit im Zuge des ÄdL-Seminars mal erwähnt wurde). Stattdessen scheint sogar sein Tiermassaker, u.a. an einem Bären, glorifiziert zu werden, was ausgerechnet im Zuge des fingierten Jagdausflugs geschieht, wodurch man Hagen fast Applaus zu spenden geneigt ist, statt Siegfrieds Tod zu bedauern – dramaturgisch denkbar schlecht gelöst. Daran, dass es sich um eine Fantasy-Geschichte handelt, wird man während jener Jagd dann auch dadurch erinnert, dass die Recken auf einen Löwen treffen…

Richtige Sympathieträger gibt es hier im Prinzip generell keine, so richtig sauber tickt eigentlich niemand. Gunthers Motivation für seinen Verrat, also seine Erteilung der Erlaubnis zum Mord an Siegfried, bleibt bis zum Ende nicht wirklich nachvollziehbar und bildet damit eine Leerstelle der Handlung. Doch statt sich einzelnen Figuren tiefer zu widmen und ihnen mehr Charakter zu verleihen (dies gelingt am ehesten noch bei Kriemhild und Hagen), werden nach und nach – insbesondere im zweiten Teil – viel zu viele Figuren eingeführt, sodass man schnell den Überblick zu verlieren droht (fallen sie nicht gerade durch ihre Namen besonders auf, so nannte man Etzels Bruder doch tatsächlich Blödel!). Dafür weiß die Suspense im zweiten Teil bei der Reise zu Kriemhild zu gefallen, bevor im letzten Drittel fast nur noch gesplattert, verstümmelt und in Blut gebadet wird. Da werden wahrlich keine Gefangenen mehr gemacht, sogar – Achtung, Spoiler! – Kriemhild muss dran glauben, vermutlich aus sexistischen Gründen (so genau ist das alles nicht mehr nachvollziehbar). Apropos Sexismus: Der ist hier harsch. Lügende, zickige Königinnen, sich positiv konnotiert lesende Prügelstrafen, die unproblematisiert formulierte Aussage, Frauen müssten „erzogen“ werden und dergleichen mehr zeichnen ein fragwürdiges Geschlechterbild. Andererseits werden seitenlang die ach so edlen Klamotten beschrieben, als handele es sich beim Erzähler um G.M. Kretschmer.

Was das Nibelungenlied (nicht nur) für Historiker(innen) interessant macht, ist der reale geschichtliche Hintergrund. So hat es die verschiedenen Königshäuser offenbar wirklich gegeben, die zum Teil eben untergegangen sind oder sich in kriegerischen Handlungen befanden. Reale Ereignisse vermengen sich hier mit Dichtung, alten Sagen und Mystifizierung, was das „Auseinanderklabüstern“ für geschichtlich Interessierte zu einer spannenden Angelegenheit machen kann. Und natürlich sagt das Nibelungenlied viel über das höfische Treiben und damalige Wertvorstellungen aus, weshalb seine Moral auch sein dürfte: Vorsicht bei Verstößen gegen höfische Regeln, denn sie können tödliche Kettenreaktionen auslösen und ganze Königshäuser auslöschen. Durchaus bedeutender Stoff also, mit dem sich auseinanderzusetzen manch Bildungslücke schließt, dessen Lesegenuss sich jedoch aus den beschriebenen Gründen in Grenzen hält. Die ideologische Fehldeutung des Nibelungenlieds nach seiner Wiederentdeckung ist wiederum ein eigenes beschämendes Kapitel im Umgang mit dem deutschen literarischen Erbe – gut, dass dieses überwunden ist.

Mad-Taschenbuch Nr. 20: Antonio Prohias – Die neuesten Abenteuer von Spion & Spion

„Spion & Spion“ zum Dritten: 1978 wurden die beiden Spitznasen fürs deutsche „Mad“ abermals im Taschenbuchformat aufeinander losgelassen. 160 je zwei oder auch nur ein Panel umfassende (leider wieder unnummerierte) Seiten lang heißt es in den mehrseitigen Geschichten diesmal stets „Der Trick mit…“, worauf eine Alliteration wie „…der ruchlosen Revolte“ oder „…dem trügerischen Treffen“ folgt. Wie üblich sind sich die eineiigen Zwillinge spinnefeind, weshalb sie sich gegenseitig nach dem Leben trachten und sich ausgeklügelte Fallen stellen. Es gibt nur Schwarz und Weiß, ganz wie im Gut-und-Böse-Denken des Kalten Kriegs, den Prohias persifliert, ohne seine Figuren bestimmten politischen oder ideologischen Lagern zuzuordnen. Zu sagen haben sie sich auch weiterhin nichts, die Zeiten von Dialog und Diplomatie sind für die Spione längst vorbei. Man lässt die Waffen sprechen. In einem kurzen Vorwort erfährt man in diesem Band ein wenig zum Autor, nämlich dass er ehemaliger Karikaturist einer kubanischen Tageszeitung sei, der in die USA emigriert sei und nun zeige, dass „es im schmutzigen Kampf der Spione weder Moral noch Sieger gibt.“ Dieser politkritische Aspekt wiederum wird diejenigen eher sekundär interessieren, die sich an Prohias’ Geschick erfreuen, wortlose Geschichten zu erzählen und dabei eine originelle bis herrlich absurde Idee nach der anderen auszutüfteln, die meist Kettenreaktionen, Explosionen und Gewalt nach sich ziehen. Die Titelseiten der einzelnen Kurzgeschichten weisen in jeweils nur einem Panel einen von der eigentlichen Geschichte losgelösten Gag auf, was deren Dichte in diesem Büchlein erhöht. Schwarzweißdenken für Freunde überzeichneter, abstrakter Kriegsführung, die genau wissen, dass sich weder der eine noch der andere Spion jemals unterkriegen lässt und bald wieder in wessen Auftrag auch immer seinem Erzfeind gegenübersteht.

Mad-Taschenbuch Nr. 19: Mads großes Müll-Buch

Die in der Regel rund 160 Schwarzweiß-Seiten umfassenden Taschenbuch-Ableger des Mad-Satiremagazins widmeten sich meist lediglich einem einzelnen Zeichner, bisweilen einem eingeschworenen Zeichner/Texter-Team oder zumindest einem bestimmten Thema/Aufhänger, interpretiert von wenigen verschiedenen Zeichnern/Autoren. Dieses Konzept wurde im 1978 veröffentlichten Taschenbuch Nr. 19 aufgegeben: Selbstironisch als „eine Sammlung neuester Abfälle“ bezeichnet, vereint es fast alle damaligen Mad-Zeichner, elf an der Zahl, plus Nick Meglin als Texter und Frank Jacobs als Verfasser des (köstlichen) Vorworts. Ergo verfolgt dieses Buch dann auch keinen roten Faden, sondern bietet ein Sammelsurium aus verschiedensten kurzen Comics und satirischen, textlastigen Beiträgen. So treffen Aragones’ dialogfreie Bildwitze auf eine „Superman“-Persiflage Mort Druckers, eine Sportjournalismus-Parodie Jack Davis’ auf eine in Reimversen getextete, durchaus hintersinnige Verulkung computergestützter Partnersuche Al Jaffees, Don Martins Gag-Comics auf gesellschaftskritische Bildergeschichten Antonio Prohias’ und Jack Richards’ „Peanuts“-Hommage, in der sich Charlie Brown mit Richard Nixon unterhält, auf Dave Bergs diesmal jeweils nur einseitige „kleine Mad-Reports“. Die textlastigsten Beiträge gehen aufs Konto Bob Clarkes, der sich streng astrologisch jedes einzelne Sternzeichen vorknöpft und übers Buch verteilt Horoskope formuliert, die die jedem Sternzeichen zugesprochenen Eigenschaften durch den Kakao ziehen. Paul Coker veralbert verschiedene Berufe und erweitert klassische Gemälde um seine Kritzeleien, um sie in einem ganz neuen Kontext erscheinen zu lassen. Interessanterweise lagen damals offenbar Enthüllungsbücher aus dem Profisport im Trend, was George Woodbridge in Form von Werbeanzeigen für fiktive Bücher wie „Die Kegelflegel“ oder „Die Wahrheit über Kricket“ persifliert, während er mittels seines Lebensratgebers „Schlemm dich unfit!“ einen Kontrapunkt zum „Trimm dich“-Fitness- und Gesundheitswahn setzt. Damit bietet das 19. Mad-Taschenbuch ungewohnt abwechslungsreiches und langes Schmökervergnügen – sowie einen schönen Überblick über die verschiedenen damaligen Zeichner und ihre jeweiligen Eigenarten. Wie üblich sitzt nicht jeder Gag, die Ausrichtung aber stimmt und die Ziele der satirischen Spitzen sind meist sorgfältig ausgewählt.

Ronald M. Schernikau – Dann hätten wir noch eine Chance. Briefwechsel mit Peter Hacks; Texte aus dem Nachlaß

„Als im Sommer 1989 Brüder und Schwestern die DDR verließen, kam ihnen einer entgegen. Der Dichter Ronald M. Schernikau emigrierte aus Westberlin und wurde DDR-Bürger“, heißt im Paratext zu diesem rund 120-seitigen broschierten Band, der 1992 als die Nummer 1 der „konkret texte“-Reihe im Hamburger Konkret-Verlag veröffentlicht wurde.

Ronald M. Schernikau war ein deutscher, offen homosexuell lebender Schriftsteller und Kommunist, der sechs Jahre nach seiner Geburt mit seiner Mutter aus der DDR nach Niedersachsen übergesiedelt war – und einer der wenigen Menschen, die freiwillig in sie zurückkehrten. Zuvor war er bereits sechszehnjährig der DKP beigetreten, hatte 1980 sein Buch „Kleinstadtnovelle“ über ein schwules Coming-out in einer Kleinstadt veröffentlicht, war nach West-Berlin umgezogen und dem dortigen SED-Ableger, der SEW, beigetreten und hatte durchgesetzt, als West-Berliner am Leipziger Institut für Literatur studieren zu dürfen – eine Zeit, in der sein Buch „Die Tage in L.“ entstand. 1988 trat er sogar – immer noch als Westdeutscher, wohlgemerkt – der SED bei, wofür er eine Bürgschaft benötigt hatte. Diese hatte er von Peter Hacks bekommen, einer weiteren nicht ganz gewöhnlichen Personalie: DDR-Bürger Hacks war Begründer der sozialistischen Klassik und ein auch in der BRD geachteter Dramatiker und Schriftsteller, zudem ein Anhänger Walter Ulbrichts und Gegner der von vielen als reformistisch und offener empfundenen Politik Erich Honeckers – und Befürworter der Aussiedlung Wolf Biermanns. Mit eben jenem Hacks führte Schernikau einen Briefwechsel, der im Prinzip 1984 begann und sich Ende der 1980er intensivierte, als Schernikau mit Hacks u.a. diskutierte, ob er in die DDR übersiedeln solle. Er zieht sich bis kurz vor Schernikaus Tod im Jahre 1991.

Nach einem elfseitigen Nachruf Rainer Bohns auf Schernikau folgt der rund 30-seitige Briefwechsel, bestehend aus kurzen wie längeren Schreiben und erweitert um erläuternde Fußnoten. Diese privaten Briefe ehemaliger Zeitgenossen zu lesen hat natürlich etwas Voyeuristisches. Schernikaus Biographie hatte mich neugierig gemacht, wobei das so nicht ganz stimmt: Mein Interesse hatte der Umstand geweckt, dass überhaupt jemand Ende der 1980er freiwillig in die DDR emigrierte. Im Zuge der Lektüre dieses Buchs und weiterer Recherche ergab sich ein etwaiges Bild, wer Schernikau war. Die Briefe liefern fragmentarische Gedanken zur Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven, einer Zeit gesellschaftlichen Umbruchs, auf den jedoch kaum eingegangen wird, und einen Eindruck vom Selbstverständnis beider Männer, die betont höflich und ehrfurchtsvoll miteinander umgehen. Mitunter erscheint Schernikau beinahe etwas unterwürfig, aber auch fordernd. Manchmal wird es etwas schwülstig („Ausgezeichneter Schernikau, …“), dann wieder humorvoll. Und wer glaubt, das Austauschen unbestimmter Artikel gegen die Ziffer „1“ gehe auf den Rapper „Money Boy“ zurück, sieht sich hier eines Besseren belehrt: Zeitweise schreiben Schernikau und Hacks (!) bereits genauso. Schernikaus Krankheit hingegen wird nie thematisiert.

Den Löwenanteil des Buchs allerdings macht dann ganz etwas anderes aus: Ein 72-seitiger Auszug aus Teil VI des posthum veröffentlichten Schernikau-Romans „Legende“, an dem er acht Jahre lang gearbeitet hatte. Weshalb einen Auszug aus der Mitte eines Romans, welchen Sinn soll das ergeben? Nun, „Legende“ verfügt zwar über wiederkehrende Figuren, ein roter Faden lässt sich jedoch nur schwer ausmachen. Vielmehr mutet es wie eine lose Gedankensammlung an, streng durchnummeriert und doch höchst frei und spontan. Großbuchstaben existieren für Schernikau nicht, Regeln der Interpunktion werden ignoriert. Schernikau lässt seinem Humor freien Lauf, vergleicht Politik mit Kunst und stellt krude Thesen auf, meist so, als habe er seine Gedankenblitze und Handlungsfragmente chronologisch niedergeschrieben. „Legende“ scheint in einer abstrahierten Realität angesiedelt zu sein, in der die Widersprüchlichkeit, die auch Schernikau verkörperte, allgegenwärtige Normalität ist. Einmal an den Stil gewöhnt, liest sich dieser Passus gut und schnell. Inwieweit man mit ihm wirklich etwas anzufangen weiß, im Jahre 2019 und nur grob eingeordnet, gerade erst mit Schernikau in Briefform Bekanntschaft gemacht habend, sei indes dahingestellt.

Wie sich Schernikau als scharfer Beobachter einer- und kindlich begeisterungsfähiger, naiv anmutender Grenzgänger andererseits in Dualismus und Dialektik beider deutscher Staaten stürzte und sich letztlich für die DDR entschied, wirkt inspirierend und motiviert, auch ungewöhnlich Wege zu gehen, wenn das Ziel die Selbstverwirklichung ist. Es macht Lust auf „Die Tage in L.“ und mit zwei Menschen bekannt, die politische Positionen vertreten, die es heute gar nicht mehr zu geben scheint. Wer wissen möchte, weshalb ein „bunter Vogel“ wie Schernikau nun wirklich in die DDR  ging, wird seine Fragen hier möglicherweise nicht befriedigend beantwortet bekommen und an anderer Stelle weiterlesen müssen.

Ronald M. Schernikau starb 1991 an Aids. Ein trauriges Zeitdokument ist dann auch die letzte Buchseite, auf der um zahlreiche Denker, Künstler und Autoren getrauert wird, die homosexuell waren und an den Folgen der Immunschwächekrankheit starben. Wer weiß, was ein Nonkonformist wie Schernikau uns heute zu sagen hätte?

Frank Schäfer – Generation Rock

„Eine Anagnorisis sophoklischer Kajüte“

Der Schäfer mal wieder! An den Texten des Dr. phil. und ehemaligen SALEM’S-LAW-Gitarristen aus der niedersächsischen Provinz habe ich ja längst einen Narren gefressen. 2008 war er zurück im Oktober-Verlag, der seine damals neueste Anekdoten-, Essay-, Glossen- und Rezensionssammlung „Generation Rock“ auf rund 130 Seiten im gebundenen 7“-Format, also der Größe einer Vinyl-Single nachempfundene, veröffentlichte und sogar noch eine CD mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen seiner o.g. Band beilegte. Die Texte waren zuvor bereits in diversen Periodika erschienen.

Der Titel ist dabei sicherlich irreführend, denn Schäfer maßt sich nicht an, als Entdecker oder Sprachrohr einer wie auch immer gearteten Generation zu fungieren. Stattdessen bleibt er nah an seinen eigenen Erfahrungen, seinem eigenen Leben bzw. eigenen Beobachtungen. Längst nicht immer geht es dabei tatsächlich um Musik, manchmal geht er auch einfach einen Computer kaufen, liegt krank im Bett und leidet bitterlich oder lässt sich von seinem bauernschlauen Kumpel Pünschel vollquatschen. Die 33 Kapitel sind von unterschiedlicher Länge – mitunter gar in Gedichtform –, schaffen den Spagat von Schäfers Jugenderinnerungen zur Gegenwart und sind, nun ja, zweigeteilt: Nicht vom Inhaltsverzeichnis erfasst, spielen sich auf den breiten Seitenrändern losgelöst von den Primärtexten zahlreiche Platten- und Buchrezensionen ab, als handele es sich um Marginalien. Dadurch sind viele Buchseiten im wahrsten Sinne randvoll, wenn der Rand leer blieb jedoch auch den Eindruck von Platzverschwendung vermittelnd. Dem Lesevergnügen tut dies indes keinen Abbruch; seit Schäfer seinen enormen Wortschatz zu bändigen versteht und ihn zielführend einsetzt, statt ihn demonstrativ zur Schau zu stellen, findet er für jedes Phänomen, für jedes Gefühl und jedes beschriebene Ereignis die richtigen Worte, die seine Texte so präzise nachempfindbar machen.

Dies geht dann durchaus auch an die Nieren, wenn die Geschichte seines ROLLING-STONES-begeisterten Malocheronkels einen furchtbar tragischen Verlauf nimmt oder er einen Nachruf auf seinen Freund und Autorenkollegen Michael Rudolf verfasst, vielmehr verfassen muss. Alles andere ist jedoch glücklicherweise weit weniger schwere Kosten (was wohlgemerkt nicht heißen soll, dass sie dadurch unbedeutsam sei). Mit seiner Verehrung des „Fargo Rock City“-Autors Chuck Klostermans und dessen Versuchen der posthumen Legitimierung des Poser/Hair/Glam-Metals übertreibt es Schäfer etwas und dass ich, wie leider üblich, mind. drei Kapitel bereits aus anderen seiner Sammelbände kannte, finde ich auch hier ärgerlich. Auch erschließt sich mir nicht, weshalb man im Jahre 2008 noch in alter deutscher Rechtschreibung verharren und sinnvolle Änderungen wie die ß-Regeln ignorieren muss. Dafür stimmt mich Schäfer aber heiter, nachdenklich, traurig und all das wieder von vorn, verleitet mich dazu, mir das eine oder andere Album (sowie manch MOTÖRHEAD-Song genauer) anzuhören und bereitet mir viel Hörgenuss mit der beiliegenden CD, die ist nämlich echt geil. Schade nur, dass im gesamten Buch mit keiner Silbe auf diese Beilage eingegangen wird – Hintergrundinfos, Liner Notes o.ä.? Fehlanzeige! Angeblich soll es sich aber um Aufnahmen für den nie realisierten Nachfolger des einzigen Albums seiner Band gehandelt haben.

Auch dieser Schäfer war unterm Strich eine wunderbare Urlaubslektüre, die mit ihrer CD und ihren Musikempfehlungen lange nachwirkt. Dass der Hamburger Kiezclub „Molotow“ und nicht etwa „Molotov“ heißt, kann im Eifer des Schreibgefechts übrigens passieren (S. 23); dass ein „Rückgrat“ nichts mit einem Rad zu tun hat, sollte beim Lektorat jedoch auffallen (S. 61). Die „IG Metal“ (S. 85) wiederum hielt man sicherlich für ein Wortspiel. Ich wünsche Schäfer und seinem Verlag zahlreiche Neuauflagen dieses Buchs, bei deren Gelegenheiten man derlei Korrekturen vornehmen könnte.

Richard Eisenmenger – Nur noch dieses Level! Von Computerfreaks, Games und sexy Elfen

„Das Buch für Spieleveteranen der 80er und frühen 90er Jahre, passionierte Retrogamer von heute, alle, denen das Internet zu bunt wird oder die beim Schmökern gerne nostalgisch werden, und schließlich alle, die Partner und Freunde ständig vertrösten mit den Worten ‚Nur noch… dieses… Level…’“, lässt der Paratext verlauten. Der ehemalige Redakteur der Computer- und Videospiele-Zeitschrift „Power Play“ Richard Eisenmenger ist Autor dieses 2017 im Verlag Rheinwerk Computing veröffentlichten, knapp 240 Seiten starken Buchs und nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf eine Zeitreise zu den Anfängen der Eisenmenger verbindet seine persönliche Biographie mit der Evolution des Heimcomputers, setzt den Schwerpunkt dabei auf die Welt der Spiele und führt nach einem Vorwort des Lektors durch zehn Kapitel mit Titeln wie „Sys 58260 – Warm Start System“, „Peeks und Pokes“ oder „Brot und Spiele“. In schreiend buntem, an Spielezeitschriften besagter Dekaden erinnerndem, reich bebildertem Layout beginnt er beim guten alten „Brotkasten“, dem C64, stellt Hard- und Software vor und widmet sich immer wieder in launig geschriebenen Kritiken alten Spielen, die er mit einem „Retro-Rating“ versieht – und den interessierten Leserinnen und Lesern gleich eine ganze Reihe von aktuellen Emulatoren an die Hand gibt, mit denen sich die Spiele auch auf zeitgenössischer Hardware (wieder-)entdecken lassen. Anekdotenreich findet er die richtige Balance zwischen auch für Laien verständlichen Erläuterungen technischer Eckdaten und Hintergründe, persönlichen Erfahrungen und witzigen Beobachtungen, die weit über Retro-Games hinausgehen. Die Anfänge digitaler Kommunikation werden dabei ebenso abgeklopft wie das Zum-Glühen-bringen der Soundchips mittels Eigenkompositionen per Tracker-Software, die Intro- und Demoszene, kultgewordene alte Fachzeitschriften, aus denen man tatsächlich seitenlange Listings abtippte und schließlich sein Quereinstieg in die Redaktion der „Power Play“. Vom C64 über den Atari, den Amiga und schließlich den PC wird da alles abgedeckt und werden die Leserinnen und Leser eingeladen, in eigenen Erinnerungen zu schwelgen oder, im Falle erst späterer Konfrontation mit der Materie, die „Computer-Steinzeit“ spannend und mitunter angenehm selbstironisch geschrieben nachzuerleben.

Leider gelingt es Eisenmenger nicht, vermutlich der engen Verquickung der Technologie- mit seiner eigenen Entwicklung geschuldet, die unmittelbaren Computerpionierthemen gegen Jugenderinnerungen abzugrenzen, die mit ihnen nichts zu tun haben; sei es das erste eigene Auto, seien es Besuche fragwürdiger Fastfood-Ketten oder auch die viel zu ausufernd behandelten „Analog-Rollenspiele“, also die Pen-&-Paper-Varianten. Diese Kapitel hätte ich gern gegen weiteren Döntjes aus der Gamerszene eingetauscht. Zu Abzügen in der B-Note führen auch einige Fehler, die sich eingeschlichen haben: „World Wide Web“ ist kein Synonym fürs Internet, sondern lediglich eine Komponente desselben (neben FTP, IRC, dem Usenet etc., S. 81); vor 20 Jahren (also 1997) gab es bereits deutlich mehr als drei Fernsehsender (S. 105); die Lucasfilm-Point-&-Click-Adventure-Hits hießen „Zak McKracken“ und „Sam & Max“, nicht etwa „Zack McCracken“ und „Sam & Mac“; den Knobel- und Geschicklichkeitsspiel-Welterfolg „Lemmings“ gab es durchaus auch als Adaptionen für DOS und Windows; auch 3,5“-DD-Disketten ließen sich lochen, um ihre Kapazität zu erhöhen (S. 178); und Lee Bolton ist ein Indie-Regisseur (im Sinne von „independent“ = unabhängig), jedoch kein „Indy-Regisseur“, da es zu einer Fortsetzung der Indiana-Jones-Reihe unter seiner Leitung dann doch noch nicht gereicht hat (S. 181). Diese Spitzfindigkeiten werden manche Leserinnen und Lesern sicherlich weder auffallen noch stören, wer jedoch wie ich einen nicht ganz unbeträchtlichen Zeitabschnitt dieser Entwicklung selbst miterlebt hat und zumindest zeitweise etwas tiefer involviert war, wird zwangsläufig über sie stolpern. Evtl. lässt sich so etwas in der zweiten Auflage redigieren.

Richard Eisenmenger ist einer jener Mitmenschen, die, mal abfällig, mal als Kompliment gemeint, gemeinhin als „Nerd“ bezeichnet werden. Das Schöne an Eisenmenger ist dabei, dass er zwar stets am Puls der Zeit blieb und sich ständig für die neuesten Hardware-Trends begeisterte, darüber jedoch die Vergangenheit nicht vergaß, sondern sie zunächst als „Power-User“ voll ausreizte und schließlich in Ehren hielt. Außerdem versteht er es, allgemeinverständlich zu schreiben, was sein Buch durchaus zu einer Empfehlung auch für diejenigen macht, die grundsätzlich an den genannten Themen interessiert sind, jedoch vor „Nerdtalk“ und Technikdetails zurückschrecken. Doch will ich ganz ehrlich sein: Wenngleich mein erstes Computerspiele-Magazin die „Power Play“ (Sonderausgabe „Die 100 besten Spiele ’91“) war, hatte ich ihr gegenüber schnell den „PC Joker“ bevorzugt, für plattformübergreifende Informationen hatte es mir sogar die „Play Time“, nachdem diese ihre Kinderkrankheiten abgestreift hatte, stärker angetan als Eisenmengers ehemalige Brötchengeber. Eisenmengers lobende Worte für Windows 95 machen ihn zudem auch heutzutage noch verdächtig, denn das hat eigentlich jeder vernunftbegabte Mensch zurecht gehasst (Windows wurde erst mit XP erträglich). Davon unabhängig ist ihm aber ein Buch gelungen, das sich mit seinem matten, festen Papier und seinem broschierten Umschlag wertig anfühlt, das gut riecht und das man gern in der Hand hält, um in einen Inhalt einzutauchen, der eine Lanze für alte Computerspiele bricht und Lust darauf macht, sich mit ihnen und der mit ihnen verbundenen spannenden Pionierzeit und Kultur auseinanderzusetzen. Damit passt das Buch gut in diese Zeit, in der Retro-Konsolen boomen und es mehrere Periodika in den Zeitschriftenregalen gibt, die sich ausschließlich Retro-Computerthemen widmen. Man könnte meinen, retro sei das neue modern – und ich kann nichts Falsches daran finden.

Den Zugang zum respektvollen und interessierten Umgang mit alten Schätzen erleichtern zahlreiche übers Buch verteilte Shortlinks, die direkt zum jeweils Behandelten führen. Alles in allem ist das sehr liebevoll gemacht und entpuppte sich ihren o.g. Schwächen zum Trotz als ideale Strandlektüre, die ruckzuck durchgelesen war: „Nur noch diese Seite…“

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