Günnis Reviews

Autor: Günni (page 12 of 107)

31.03.2023, Monkeys Music Club, Hamburg: OXO 86 + NÖÖS

Relativ spontan dockten die Berliner bzw. Brandenburger OXO 86 am Monkeys an, also flugs Karten organisiert und daran gut getan, denn alsbald war das Ding ausverkauft. Wer Support machen würde, war bis kurz vorher unbekannt, doch in den erst seit Kurzem existierenden Hamburgern NÖÖS fand man einen willigen Vorturner. Diese neue Band um u.a. ÖSTRO-430-Drummerin Sandy hat zwar erst ‘ne Handvoll Songs im Gepäck, ist aber motiviert bis in die Haarspitzen. Bei ein, zwei Nummern rumpelte es noch etwas, aber dafür hat der Sänger ein kräftiges Organ und ist ‘ne echte Rampensau. Der P.A.-Sound war zudem vom Feinsten. Man coverte „‘Merican“ von den DESCENDENTS und den Sänger hielt’s nicht lange auf der Bühne; er ging nun auch auf der Tanzfläche auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Der beste Song war „Baptised in Blood“ und nach entsprechender Bitte des Sängers bildete sich direkt ein kleiner Pogomob. Als Zugabe – sprich: als sechsten Song oder so – spielte man dieses Stück kurzerhand noch einmal, versprach aber eine Überraschung im Mittelteilt. Diese bestand darin, dass man eine Wall of Death formte – eine alberne Unsitte, die hier völlig fehl am Platze wirkte. Die sich irgendwo zwischen melodischem Hardcore- und Streetpunk bewegende Band ließ sich anschließend auch noch auf der Bühne mit Publikum im Hintergrund nach „Bitte alle mal so ‚yeah‘“-Aufforderung fotografieren, was ich auf Punkgigs dieser Größenordnung nun auch noch nie erlebt hatte und mich etwas befremdete. Bischn weniger Pose, dafür mehr Songs wären nett, denn musikalisches Potenzial ist auf jeden Fall einiges vorhanden.

In der ausverkauften Hütte war’s mittlerweile so richtig drängelig geworden und als es losging, fraß der sich fast gegenseitig auf den Füßen trampelnde Mob OXO 86 aus der Hand. Zwischen Ska- und Streetpunk mäandernd, brachte man von der ersten Minute an ungelogen den gesamten Saal zum Tanzen und Mitsingen. Seit 1996 ist man fleißig dabei, eingängige, deutschsprachige Hits zu schreiben und mit heiserer Stimme vorzutragen, die mit Witz und Selbstironie bis hin zu Sarkasmus aus dem Alltag des „kleinen Mannes“ berichten, proletarische Weisen also, die sich nicht die große Politik auf die Fahne schreiben, sondern deren soziale Diskurse eher zwischen den Zeilen stattfinden – und mal mit Orgelsounds, viel öfter aber mit nicht immer kerzengerade gespielter Trompete abgeschmeckt werden. Das Set berücksichtigte natürlich das jüngste Album „Dabei sein ist alles“, wodurch es sich von jenem des auf dem „Live in Leipzig“ konservierten Doppelalbums unterschied. Am Tieftöner hat man einen der vielleicht lässigsten Bassisten der Szene, Dreh- und Angelpunkt auf der Bühne aber ist Sänger und Chef-Entertainer Willi. Dieser hängt sich von der Bühne gern mit Zweidrittel seines Körpers ins Publikum, wenn er nicht gerade (wie mehrmals an diesem Abend) Crowdsurfing betreibt, an Lichttraversen entlanghangelt und sich vertrauensvoll in die Meute fallen lässt, und sagt im völlig nassgeschwitzten Nicki Sachen wie „Schon die Hälfte rum? Fühlt sich an, als hätten wir gerade erst angefangen.“ Ach ja, nebenbei singt er auch noch voller Inbrunst.

Nach „Walking Class Heroes“ schien’s ’ne Zwangspause gegeben zu haben, war da was mit dem Schlagzeug? Willi jedenfalls nutzte die Zeit, um Witze zu erzählen, und man konnte prima Bierholen gehen. Statt längere Rufe nach Zugaben zu provozieren, verschnaufte man nur kurz und kündigte die – ich glaube – drei Zugaben an, von denen eine wie üblich der alte GOYKO-SCHMIDT-Klassiker „Saus und Braus“ war. Je später der Abend wurde, desto öfter fanden sich Teile des Publikums auf der Bühne ein und sangen lauthals ins Mikro des Bassers mit. Der gesamte Gig war eine phänomenale Party von einer der besten Livebands in diesem Sektor hierzulande, in deren Anschluss wir bei ‘80er-Synthwave im Pub-Bereich versackten. So was hatte ich mal wieder gebraucht. Danke, Monkeys, danke, OXO 86 und hoffentlich auf bald!

Mad-Taschenbuch Nr. 39: Jack Rickard / Lou Silverstone – Das Mad-Buch der seltsamen Verbrechen

Zeichner Jack Rickard und Texter Lou Silverstone debütierten mit diesem Buch innerhalb der Mad-Taschenbuch-Reihe, das 1983 im üblichen 160-Schwarzweißseiten-Format erschien, dessen Inhalte aber in die Jahre 1978 und 1980 zurückreichen. Es enthält verschiedene Parodien auf klassische Film- und Literaturstoffe, die sowohl im ein Panel pro Seite umfassenden Comicstil als auch in Form bebilderten Fließtexts dargereicht werden. Der Titel bezieht sich auf die Dominanz von Detektivparodien und umfasst somit nicht das gesamte Repertoire dieses Buchs. Auf Seitenzahlen muss man leider zum wiederholten Male verzichten. Schade, dass Rickard und Silverstone nicht in einem Vorwort kurz vorgestellt werden, wie es bei anderen Autoren und Zeichnern innerhalb dieser Reihe ja durchaus nicht unüblich war – handelte es sich bei diesen beiden doch um zwei immens wichtige und fleißige Künstler des Mad-Kernteams.

Der Auftakt ist mit einer starken Dracula-Parodie gelungen, die anschließend „Peanuts“-Persiflage hingegen enttäuscht mit einer müden Pointe. „Ein schnöder Falke – Aus dem Leben von Micky Killano“ erfreut dann wieder mit einer launigen Verballhornung typischer Noir-Detektivgeschichten und ihrer Klischees in Prosaform, wobei sich eine seitenfüllende Zeichnung und eine Textseite abwechseln, während Eastern-Freunde bei „Charlie China“ ganz stark sein müssen. Aus dem Rahmen fällt das Kapitel „Was Gesetzeshüter sagen… und was es wirklich bedeutet“, da es die Polizei durch den Kakao zieht und mit seiner unterschwelligen Autoritätskritik gefällt, mit den „Wenn einer sagt, so bedeutet das“-Gegenüberstellungen aber eigentlich nicht ins Konzept dieses Buchs passt. Dass das Abenteuer des tumben Detektivs „Sellery Queen“ auf „Ellery Queen“, das Pseudonym eines populären Krimi-Autorenduos, referenziert, musste ich ehrlich gesagt erst nachschlagen. „Die Yankee-Boys“ erscheinen in der gleichen Prosaform wie Micky Killano und sind ein toller Abgesang auf ebenso US-hurrapatriotische wie unwahrscheinliche Heldengeschichtchen, während „Schwerschock Holmes“ es in Comicform mit der Rückkehr Jack the Rippers zu tun bekommt.

Das ist alles in allem viel respektloser, mal mehr, mal weniger hintersinniger, typischer Mad-Humor, mit dem man nicht viel falsch machen kann – es sei denn vielleicht, es fehlen einem mittlerweile die populärkulturellen Bezüge (wie es mir bei „Sellery Queen“ erging). Zum Humorverständnis sind diese aber nicht zwingend erforderlich. Irgendwo hat sich mit „Judenstern“ (gemeint war: Davidstern) eine falsche Übersetzung eingeschlichen, ansonsten ist Herbert Feuersteins Adaption ins Deutsche aber gewohnt auf der Höhe. Hat Spaß gemacht und mich daran erinnert, wie oft ich als Kind zuerst die Mad-Parodie von etwas kannte und erst später das Original kennengelernt habe…

Sören Olsson / Anders Jacobsson – Berts haarsträubende Katastrophen

Lieber Stapel im Tauschschrank gefundener „Berts Katastrophen“-Bücher mit den bunten Comiccovern, der du dich als von den o.g. schwedischen Pädagogen geschriebene Jugendbücher mit Coming-of-Age-Inhalten um den pubertierenden Bert Ljung entpuppt hattest,

es war nicht immer schön mit dir, zuweilen musste ich mich etwas durch dich durchquälen. Zuletzt war es zwar besser geworden, aber das hier, der 1996 erschienene vorvorletzte Band der Berts Tagebucheinträge umfassenden Reihe, ist der letzte den ich gelesen habe und auch gelesen haben werde, denn ich zähle einfach nicht zu deiner Zielgruppe. Meine Motivation, mir die letzten Bände auch noch zuzulegen, ist zu gering, zumal Mittelschichtsbengel Bert da doch bestimmt frustrierenderweise immer noch keinen Sex gehabt haben, sondern weiterhin von einer Tagträumerei in den nächsten Schlamassel und umgekehrt schlittern wird. Die Besprechung dieses neunten Bands bin ich dir aber noch schuldig, also los:

Mit rund 180 Seiten im nach wie vor großlettrigen Seniorenzeichensatz fällt dieser Schmöker ca. 30 Seiten stärker aus als der Vorgänger, ansonsten ist aber eigentlich alles beim Alten: Sonja Härding hat diverse Bleistiftzeichnungen untergebracht, Bert schreibt Tagebuch, hier vom 14. Februar bis zum 14. April sowie „Gedichte des Tages“ und ist noch immer solo, notgeil und möchtegern-cool. Er steigt also am Valentinstag eine Woche vor seinem sechzehnten Geburtstag ein, und natürlich verläuft der Valentinstag nicht wie erhofft. Er ist nach wie vor schwer in seine Ex-Freundin Nadja verknallt, mit der er sich tatsächlich wieder näherkommt, wildes Gefummel und Petting beim ersten gemeinsamen Abend nach langer Zeit lassen ihn hoffen. Der all die Jahre gemobbte Erik scheint den Kontakt zu Bert abgebrochen zu haben – was besonders deshalb doof ist, weil man mit der gemeinsamen Band einen Auftritt ergattert hat. Mit seinem Kumpel Arne sowie dessen und dem eigenen Vater fährt Bert in den Skiurlaub, in dessen Rahmen der Besuch des „Bayrischen Abends“ für deutsche Leserinnen und Leser interessant sein dürfte, wenngleich Berts Beschreibungen wieder mit der typisch schwedischen Anti-Alk-Stimmungsmache einhergehen, die man Bert hier in die Schreibfeder gelegt hat.

Der Gig findet schließlich mit einem Ersatz-Drummer statt, der dem Rest der Band glatt die Show stiehlt. Sehr schön: Die Lautmalereien seiner Drumsoli erreichen fast Don-Martin-Niveau. Das Mobbing gegen Erik wird endlich einmal problematisiert und vonseiten Berts und Konsorten reflektiert, woraufhin man um Entschuldigung bittet und sich wieder verträgt. Ist das den Autoren selbst irgendwann aufgefallen oder hatten sich die Beschwerden aus dem Pädagogen-Kollegium gehäuft? Wie auch immer, Bert arbeitet jedenfalls an neuen Katastrophen. So beschwört er eine Ehekrise heraus, als er sein eigenes Bespannen der Nachbarin durch den Türspion auf seinen Vater schiebt und es daraufhin zu einem peinlichen Gespräch zwischen seiner Mutter und jener Nachbarin kommt. Die anschließende Aussprache ist sehr wortgewandt und originell ausgefallen, wenn Bert auf griechische Götter referenziert. Dennoch: Fremdscham galore!

Wie aus dem Nichts macht Nadja noch vorm ersten richtigen Sex mit Bert Schluss – dabei waren sie doch gerade erst wieder zusammengekommen! Bert tritt ein Praktikum in der Kinderstation des Krankenhauses an und ein Umzug nach Gotland ist im Gespräch, weil sein Vater dort einen Job antreten könnte, der mehr einbrächte. Nadja nähert sich überraschend doch wieder an Bert an, verstehe einer die Weibsbilder… Dieses Buch wäre zu diesem Zwecke ein schlechter Berater, denn die Gefühlswelt der handelnden Figuren wird nur oberflächlich erörtert. Ein Gig in der Erziehungsanstalt wird zum Erfolg, doch dort verguckt sich Bert in eine Insassin, weshalb er zwei Tage später die nun endlich willige Nadja von der Bettkante schubst – was für ein Idiot!

Berts Tonfall pendelt beständig zwischen selbstironisch und überheblich, was grundsätzlich zu einem pubertieren Jungen passt. Viele seiner Handlungen und Erlebnisse werden recht witzig umschrieben, wenngleich der Schreibstil sehr hauptsatzlastig und damit nicht übermäßig attraktiv ist. Für einen Pubertierenden geht Bert jedoch erstaunlich, will sagen: unrealistisch abgeklärt mit allen Widrigkeiten um, sodass das Buch eher wenig als pädagogisch angehauchter Ratgeber oder Tröster und Bert aufgrund seiner Schusseligkeit auch kaum zum Vorbild für Gleichaltrige taugen dürfte. Deren Erkenntnisgewinn aus dieser Lektüre wird gering ausfallen, vielmehr verkommt Bert zur Lachnummer, über die man sich lustig macht.  Dafür wird hier Alkoholabstinenz vermittelt… Dass ein 16-Jähriger noch kein wirkliches Sexleben hat und das erste Mal eigenverschuldet verkackt, ist hingegen keine Seltenheit, wenngleich es mittlerweile innerhalb dieser Reihe von derart langer Hand vorbereitet und doch immer wieder aufgeschoben wird, dass einen der Verdacht beschleichen kann, diese Autoren drückten sich vor der Herausforderung, tatsächlich einmal etwas über verantwortungsbewusste Sexualität im Teenie-Alter und Beziehungen auf Augenhöhe schreiben zu müssen.

Wer wissen will, wie es bei Bert Ljung weiterging, kann sich ja die letzten beiden Bände zu Gemüte führen, ich aber bin jetzt raus.

04.03.2023, Café Treibeis, Hamburg: SHITSHOW / 04.03.2023, Monkeys Music Club, Hamburg: THE HOTKNIVES + THIS MEANS WAR

Mal wieder volles Programm in der Hansestadt: Das Monkeys feierte sein Achtjähriges, SHITSHOW zockten gratis im Treibeis, KILLBITE und APOCALIPSTIX machten die Lobusch unsicher, Postpunk im Molotow… Ich entschied mich fürs Monkeys, jedoch nicht ohne vorher dem quasi auf dem Weg liegenden Café Treibeis einen Besuch abzustatten. Dieser Laden ist eigentlich ‘ne kleine Kneipe, die aber hin und wieder auch Konzerte veranstaltet. Ich hatte als Beginn 21:00 Uhr im Hinterkopf, sodass ich nach der Sportschau keine große Eile hatte, doch als ca. fünf vor neun eintraf, spielte die Band anscheinend schon seit ‘ner Viertelstunde und ich schaffte es gerade noch so, einen Schritt in den Laden zu setzen. Es war gerammelt voll, man stand dicht an dicht und konnte sich kaum bewegen. Von der Bühne sah ich erst etwas, nachdem ich durch die Gruppendynamik langsam Stück für Stück weiter nach vorne gedrängelt worden war. Der Sound war dafür recht klar, Sängerin Julias herrlich rotziges Organ jedoch ziemlich weit nach vorne gemixt, die Gitarre dafür etwas leise – so klang’s zumindest an der Biegung des Tresens, bis zu der ich’s nun geschafft hatte. Die Band mit Leuten von SORT OF SOBER UND ORÄNGÄTTÄNG erfreut sich mit ihrem erfrischenden, flotten, hochenergetischen Oldschool-Punkrock gerade zu Recht großer Beliebtheit, drückt einem das Schmalz aus den Gehörgängen und macht einfach Laune. Der Gig dürfte um die 45 bis 50 Minuten gedauert haben, inklusive NEW-ORDER-Cover („Blue Monday“) und „Happy Birthday To You“ für ein anwesende Geburtstagkind, gespielt in unterschiedlichem Tempo, als Ska-Version und in einer Death-Metal-Fassung…

Diese Nummer hätten SHITSHOW an diesem Abend auch gut im Monkeys bringen können, denn auch wenn vom ursprünglichen Inhaber-Trio „nur“ noch Sam übrig ist, feierte einer der schönsten Clubs Hamburgs erhobenen Hauptes sein bereits achtjähriges Bestehen! Schon vorm Eingang entdeckte ich die ersten bekannten Gesichter und es wurde munter drauflosgequatscht. Da mit den Belgiern THIS MEANS WAR! die erste Band aber bereits spielte, ließ ich schnell meinen frischgebügelten Zwanziger an der Abendkasse, holte mir ‘ne Pilsette und guckte, was einem da geboten wird: Streetpunk mit melodischem Klargesang nämlich. (Die 80 Liter Freibier waren dafür schon weg, aber irgendwas is‘ immer.) Die seit 2016 existente Band hat bisher ‘ne Single, eine 10“ und ein Album draußen und ist hörbar von den harmoniebedachteren Bands des Genres beeinflusst. Von einer dieser – COCK SPARRER – coverte man dann auch „Suicide Girls“, inklusive kurzen Mitsingspielchen mit dem Publikum. Gute Idee, mal ‘nen jüngeren SPARRER-Song zu covern, anstelle der altgedienten Überklassiker. Der Platz vor der Bühne war ordentlich gefüllt, es wurde sich hier und da warmgetanzt, im Vergleich zu meinem Besuch im Treibeis, der gegen sämtliche Tierhaltungsbedingungen verstoßen hätte, fühlte sich das hier aber angenehmerweise nach unendlichen Weiten an. Zwischendurch versuchten THIS MEANS WAR!, Sam auf die Bühne zu lotsen, um ihm ‘ne Riesenpulle Bier aus ihrer Heimat als Geschenk zu überreichen, doch der war nicht auffindbar, sodass das später – ich glaube, ungefähr im Zugabeteil – nachgeholt wurde. Lief alles schon mal ganz gut rein – so auch das Bier im Pub-Bereich, wo der Umtrunk mit weiteren Freunden und Bekannten, die ich zum Teil schon länger nicht mehr gesehen hatte, fortgesetzt wurde.

Einer von ihnen, der gute Jan, räumte dann bei der Verlosung auch gleich gut ab. Lose waren keine mehr zu bekommen, alle waren verkauft worden und die Erlöse werden für einen guten Zweck gespendet. Jan jedenfalls, der in jüngster Vergangenheit einige Schicksalsschläge einstecken musste, durfte sich über das goldene Ticket freuen, das ihm ein Jahr lang freien Eintritt zu allen Veranstaltungen im Monkeys gewährt! Da hat’s wirklich mal den Richtigen erwischt – herzlichen Glückwunsch!

THE HOTKNIVES hatte ich tatsächlich schon ewig nicht mehr gesehen. Ich erinnere mich immer noch gern an einen fantastischen Auftritt auf dem Wutzrock-Gratis-Open-Air, das dürfte Anfang der 2000er gewesen sein…? Wenngleich ich mit modernem Ska nicht allzu viel anfangen kann, konnten die HOTKNIVES mit Songs wie „Driving Me Mad“, „Harsh Reality“ oder „Holsten Boys“ schon immer bei mir punkten. Der Third Wave Ska der Briten klingt glücklicherweise so gar nicht nach Zirkus- und Blasmusik, sondern verfügt über diese feine melancholische Note und ein gutes Gespür für unaufdringliche, aber unwiderstehliche Melodien. Die Band tritt auch gar nicht erst in Fußballmannschaftsgröße an, sondern beschränkt sich neben der Rhythmussektion, Gitarre und Bass auf einen eher dezenten Bläser und einen Orgelspieler. Die Stimmung war ausgelassen, es wurde getanzt und die Hüften geschwungen. Sänger/Basser Marc verriet immer wieder durch ein Grinsen im Gesicht, dass ihm die Sause genauso viel Spaß machte. Die großen Hits dürften alle gespielt worden sein, meine Favoriten jedenfalls erkannte ich weitestgehend wieder. Eine würdige Combo für diese Geburtstagsfeier, die sich anschließend im Pub-Bereich bei erlesenen Getränken, Hits von DJ Bert und hochgeistiger Konversation (oder so) noch lange hinzog – und in deren Zuge Sam noch mindestens eine Runde Kurze springen ließ. Schön war’s mal wieder – danke an Sam und das Monkeys-Team für diesen Abend und auf die nächsten acht Jahre!

Jetzt im Nachhinein sehe ich übrigens, dass ich vor Urzeiten die THIS-MEANS-WAR!-10“ auf meine Einkaufsliste gesetzt hatte, was dann aber total in Vergessenheit geraten war. Hrmpf. Wenigstens weiß ich jetzt, weshalb mir der Name irgendwie bekannt vorkam…

18.02.2023, Gruenspan, Hamburg: NAPALM DEATH + DROPDEAD + SIBERIAN MEAT GRINDER + ESCUELA GRIND

Die „Campaign For Musical Destruction“-Tour führte dieses Bandquartett nach ein oder zwei pandemiebedingten Verschiebungen an diesem Samstag endlich auch nach Hamburg – und hätte normalerweise ohne mich stattgefunden. Da Kai Motherfucker aber verhindert war, bekam ich seine Karte geschenkt, die er zuvor von alten Hagener Kollegen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Das ist zwar nicht so 100%ig meine Mucke, aber neugierig war ich dann schon geworden. NAPALM DEATH hatte ich zuletzt in den 2000ern auf dem Force Attack gesehen und erinnere mich an ‘nen schön wuchtigen Sound, an viel mehr aber auch nicht. Und bis aufs legendäre Debüt habe ich nix der Birminghamer im Archiv. Nach dem ersten Pülleken bei Kai eilte ich zum Gruenspan, denn Subkultur in einem Kommerzschuppen bedeutet meist peinlich pünktlicher Beginn statt chaotischem Laissez-faire, so auch heute: Bereits um 19:00 Uhr (!) begannen ESCUELA GRIND aus den USA, die bisher zwei Alben am Start haben. Hierzulande scheinen sie noch nicht sonderlich populär zu sein, denn andere Besucherinnen und Besucher hatten bereits mit dem Namen Probleme („Estrella Grind“, „Escuela Dings“) und/oder ignorierten sie durch späteres Erscheinen. Die Bude war aber ausverkauft, was dieses Phänomen relativierte, sodass die Band auf einen bereits gut gefüllten Saal von der großen Bühne hinabblicken konnte.

Grindcore ist ja so was wie Musik für Menschen, die eigentlich keine Musik mögen, die Darbietungen entsprechen eher sportlichen Leistungen denn musikalischer Virtuosität. Folgerichtig trat die sich durchgehend in Bewegung befindende Shouterin in Sport-Top- und -Panties auf und führte durch ein energiegeladenes Set aus mal mehr, mal weniger metallischem, aggressivem Grindcore mit deutlichen Hardcore-Einflüssen. Ein Song wurde im Powerviolence-Stil gezockt, ein anderer als Death Metal angekündigt. In einem zunehmend von Spaß-, Gore- und Porngrind dominierten Genre mit selbstbewusster Frontfrau aufzutreten, tatsächlich etwas zu sagen zu haben (beispielsweise zur in einer längeren Ansage bedachten LBGTQ+-Community) und seine Shows mit HC-Punk-Attitüde zu spielen, nötigt mir Respekt ab und finde ich großartig!

In der kurzen Umbaupause wurd’s dann richtig voll und mir wurde bewusst, was „ausverkauft“ im Gruenspan bedeutet: Ein heilloses Gedrängel. Wer sich zu Beginn eines Gigs von vor der Bühne aufmacht, um das Klo aufzusuchen und auf dem Rückweg ein Bier abzugreifen, läuft da fast schon Gefahr, erst zum letzten Song zurück zu sein. Die russischen, glücklicherweise offenbar noch nicht von Putins Propagandamaschinerie auf Kurs gebrachten SIBERIAN MEAT GRINDER, die sich Sänger Vlad mit MOSCOW DEATH BRIGADE teilen, liefen bisher weitestgehend unterhalb meines Radars, konnten mich live aber mit ihrem Thrash/Hardcore-Crossover überzeugen. Vlad trat (passend zum Karneval, haha…) mit Bärenmaske auf und stand die meiste Zeit am vorderen Bühnenrand, wo er mit Habi- und Gestus an einen Hip-Hop-Performer erinnerte, während der Lead-Gitarrist das akzentuierte Geschrubbe mit geilen Metal-Soli veredelte. Insbesondere der Metaller(innen)-Anteil im Mob dankte es ihnen mit Pogo, Mosh und Circle Pits, Getränke spritzten, leere Becher flogen durch die Gegend – und ich bekam, das Treiben ein, zwei Reihen hinterm Pit beobachtend, das wohlige Gefühl, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Das mittlerweile mit 4,20 EUR für 0,33 Liter zu Buche schlagende Jever begann, seine zusätzlich euphorisierende Wirkung zu entfalten und ich ärgerte mich ein wenig, mir SMG nicht schon früher einmal angesehen zu haben.

Der crustige Teil des Publikums schien insbesondere DROPDEAD entgegenzufiebern, jener bereits seit 1991 existenten Grind-/Hard-/Fast-/Whatever-Core-Combo aus Rhode Island. Ich erinnere mich, da früher, als man noch ständig auf der Suche nach neuen krassen Bands war, auch mal reingehört zu haben, ohne dass sie wirklich meinem Geschmack entsprochen hätte. Auch DROPDEAD verfolgen einen gewissen inhaltlichen Anspruch und entstammen der HC-Punk- und -DIY-Szene, was sie schon mal grundsätzlich sympathisch macht. Und ich find’s klasse, dass NAPALM DEATH eine solche Band mit auf Tour durch die ja nun nicht ganz so kleinen Läden nehmen. In dieser Live-Situation resultierte das aber in einem ziemlich gleichförmigen Geschrammel auf der Suche nach Geschwindigkeitsrekorden, wozu der Sänger ins Mikro kreischte. Wann immer so etwas wie Songstruktur erkennbar wurde, fand ich’s in seiner Radikalität ganz cool, ansonsten konnte ich mit dem Stil allerdings nicht wirklich etwas anfangen. Dafür neigte der Sänger dazu, sein Mikro am extralangen Kabel bedrohlich über die Köpfe des Publikums zu schwingen, was mir als Showeinlage im Gedächtnis blieb. Hätte sich da mal das Kabel gelöst, hätte die eine oder andere Kauleiste dran glauben können. DROPDEAD auf so’ner Bühne ist halt an sich schon ein Statement, und bei dieser Art von Musik spielt, äh, die Musik ja ohnehin eher eine untergeordnete Rolle. Ich betrank mich weiter, genoss meine Kippe vor der Tür und war neugierig, wie NAPALM DEATH anno 2023 live klingen würden.

Nach dem sehr unbehauenen „Scum“-Debüt hatten sich die Grindcore-Pioniere eine ganze Weile gen Deathgrind orientiert, womit sie nach, nun ja, Death Metal eben klangen, was ich persönlich trotz des einen oder anderen „Hits“ als nicht sonderlich aufregend empfand. Das DEAD-KENNEDYS-Cover „Nazi Punx Fuck Off“ im ND-Stil ist natürlich klasse, eine richtige Liebe zur Band entwickelte sich meinerseits aber nie – eher Respekt davor, wie sie unermüdlich ihr Ding durchzieht, ohne auszuwimpen, vor Frontmann und Texter Barneys klugen Interviews in der Musikpresse und davor, bis heute Haltung zu zeigen, ohne sich für die Musikindustrie zu verbiegen. Den Sound im Gruenspan empfand ich als überraschend wenig metallisch, als wolle man eben gerade nicht mehr zu sehr nach Deathgrind klingen. Der nicht zu altern scheinende Barney zuckte permanent hyperaktiv zappelnd über die Bühne und keifte ins Mikro, ein durchaus beeindruckender Anblick. Vor der Bühne ging’s rund, hinterm Pit konnte man sich im Gedrängel hingegen kaum noch bewegen. Der schlauchartige Saal erschwert zudem den Blick auf die Bühne. Was da von derselben bzw. aus der P.A. drückte, war für meine Ohren mal zwingender, mal beliebiger, wobei zugegebenermaßen irgendwann auch meine Aufmerksamkeit nachließ. Ich war ständig entweder in Schnacks verwickelt oder mit Bierholen und Klogängen beschäftigt, wozu NAPALM DEATH den Soundtrack lärmten. Zwischenzeitlich richtete ich’s mir rechts vor der Bühne ein, wo ich zumindest bessere Sicht hatte. Ich erinnere mich ans BAD-BRAINS-Cover „Don’t Need It”, daran, dass bischn Zeug vom Debüt gespielt wurde (u.a. das Prog-Grind-Epos „You Suffer“), hatte aber mittlerweile offenbar auch etwas an den Ohren, denn ausgerechnet „Nazi Punx Fuck Off“, schlicht als „second cover song“ angekündigt, erkannte ich gar nicht. WTF?! Wurde anscheinend Zeit für mich, dass das Konzert endete, was dann auch nicht mehr lange dauerte. Der Abend fand im Semtex seinen Ausklang, wo ich mich u.a. darüber freute, dass es nicht so drängelig voll war.

Fazit: Ist auch durch dieses Konzert nicht so ganz meine Mucke geworden, ein interessanter Abriss war’s aber allemal – und meine Prognose, dort viele großartige Menschen zu treffen, die ich zum Teil länger nicht mehr gesehen hatte, hatte sich bewahrheitet. Allein schon dafür hatte es sich gelohnt, nicht zuletzt deshalb noch mal Küsschen an Kai für die Karte!

Mad-Taschenbuch Nr. 38: Mad präsentiert Don Martins Höhenflug

Nachdem Kult-Zeichner Don Martin mit dem deutschen Mad-Taschenbuch Nr. 30 „in die Tiefe“ gegangen war, setzte er in seinem siebten Taschenbuch also zum „Höhenflug“ an – dem gewohnt selbstironischen Cover nach zu urteilen ein zum Scheitern verdammtes Unterfangen. Der US-amerikanische Copyright-Vermerk datiert diesmal eigenartigerweise bis ins Jahr 1975 zurück; in Deutschland jedenfalls kam man 1983 in den Genuss dieser 160 (leider erneut unnummerierten) Schwarzweiß-Seiten, die jeweils ein bis Panels umfassen. Textliche Unterstützung erhielt Martin wieder von Dick de Bartolo.

Dieser „Höhenflug“ umfasst 13 Geschichten unterschiedlichen Umfangs, wobei eine köstliche Persiflage auf den Horror-Klassiker „Die Fliege“ zusammen mit dem Käpt’n-Hirni-Abenteuer „Der Schlag des Gerechten“ das Herzstück des Büchleins bildet. Der Käpt’n ist Protagonist einer herrlichen Verballhornung von Kung-Fu-Klischees, während der Anthropologie-Satire „Ein Besuch bei den Gumbo-Indianern“, in der ein fiktionaler Indianerstamm als stumpfsinnige Primitivlinge dargestellt wird, aus heutiger Perspektive der etwas unangenehme Beigeschmack unbewussten Rassismus anhaftet. Nichtsdestotrotz ist auch dieser Band erneut ein Kleinod voller Martin-typischem Humor, der sich aus seinem unverkennbaren Zeichenstil, Slapstick, unvorhersehbar Absurdem und natürlich den legendären Soundwords („Zawabadorp!, „Ka-lomp“, „Spidoing“ …) zusammensetzt, während die Geschichten inhaltlich am stärksten sind, wenn sie ins Parodistische tendieren.

03.02.2023, Monkeys Music Club, Hamburg: 4 PROMILLE + TATSAXE

„Hier kommt die alte Schule!“

4 PROMILLE mal wieder in Hamburg, zudem in einem der schönsten Clubs der Stadt – und ich hatte auch noch Zeit! „Support to be announced“ hieß es im Netz, eigenartigerweise auch noch zwei Tage vorher… Just fragte man uns, ob wir den Slot nicht mit DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS ausfüllen könnten. Das wäre musikalisch zwar ‘ne eher ungewöhnliche Zusammenstellung geworden, aber, hey: Warum nicht? Kurz nachdem sich einen Tag später der Letzte von uns für den Gig freigeschaufelt hatte, war allerdings schon eine andere Combo gefunden worden: TATSAXE, eine noch junge Hamburger Band um einen Kerl namens Mark, der mir in präpandemischen Zeiten dadurch aufgefallen war, dass er mit seiner Akustikklampfe gerne mal vor Veranstaltungen im Gängeviertel herumsaß. Von der Band hatte ich vorher noch nie etwas gehört, offenbar war eine Zeitlang sogar ex-TOBSUCHT-Micha dabei. Ich war gespannt.

Gegen 21:00 Uhr traf ich ein und ließ mir erst mal ein köstliches Monkeys Red zapfen, ungefähr ‘ne Viertelstunde später legten TATSAXE in Quartettgröße los: Mark spielt Gitarre und singt, Bass und Schlagzeug gibbet natürlich auch, und, sieh mal einer an: An der zweiten Klampfe der ehemalige Sänger der klasse Wedeler AC/DC-Coverband OVERDOSE! Ihren Stil bezeichnen TATSAXE als Oi!-Punk, für meine Ohren ist der Sound aber anders, irgendwie… spezieller. Mark hat ‘ne gute, raue Stimme und geht mit ihr ab und zu auch mal in die Höhen, was dann schön punkig-dreckig klingt. Man spielte Lieder über den „Irokesen-Weihnachtsmann“, die Bulettenbräter Hesburger, die Sonne Orions, den Elbstrand und sich selbst; noch mitunter etwas holprige Ansagen Marks führten durchs Set (so was wie „Nichts gegen McDonald’s oder Burger King“ sollte man vielleicht noch mal überdenken…). Die auf Spaß gebürsteten Songs wirkten inhaltlich eher infantil und erinnerten mich an grausige Nix-Gut-Records-Zeiten; aber wenn mich nicht alles täuscht, fand sich auch der ein oder andere ernstere, persönlichere Song, der ihnen meines Erachtens besser zu Gesicht stand. Vor allem musikalisch aber war’s ‘ne abgefahrene Mischung, denn während die Rhythmussektion inkl. Marks Rhythmusgeklampfe irgendwo zwischen rudimentär und rustikal und dabei nicht immer ganz harmonisch zu Werke ging, war insbesondere der ehemalige OVERDOSE-Sänger mitunter schwer hardrockig (und sehr filigran) am Solieren, und wenn der Frontmann zu Leadgitarrenklängen ansetzte, klang das für meine stumpfen Ohren ebenfalls erstaunlich versiert. (Zwischenzeitlich legte er die Klampfe aber auch mal beiseite.) Mit diesen Sound-Elementen hat man zumindest etwas Eigenes, worauf sich aufbauen ließe. Nach diesem ersten Live-Eindruck würde ich sagen, da trafen ‘90er-D-(Fun-)Punk mit Trash- und Asi-Kante auf etwas Oi!-Prolligkeit mit Hang zum Mitgrölrefrain sowie ‘ne ordentliche Hardrock-Schlagseite, wie man sie vielleicht aus dem Streetrock-Bereich kennt. Ab dem dritten Song jedenfalls wurde von einer kleinen Gruppe gepogt, wenn auch mit zwischenzeitlichen Pausen, während der Rest inklusive des Verfassers dieser Zeilen im ordentlich gefüllten Saal irgendwie fasziniert zuschaute und versuchte, sich einen Reim auf die Band zu machen – und Szenenapplaus lieferte. Ich werde die mal im Auge behalten. 😀

Dass ich die Düsseldorfer zuletzt live gesehen hatte, war doch tatsächlich schon wieder neun (!) Jahre her, seinerzeit auf dem Hafengeburtstag… Da war Bandgründer Grüner schon raus, mittlerweile haben sie auch einen anderen Drummer und Sängerin Melly hat leider auch die Segel gestrichen. Letzteres ist besonders schade, brachte sie doch mit den von ihr gesungenen Songs stets eine ganz andere Klangfarbe mit ein und hatte sie nicht zuletzt auch immer eine tolle Bühnenpräsenz. 4 PROMILLE traten ebenfalls mit zwei Gitarren an und spielten ein Headliner-Set in entsprechender Länge, wobei ungefähr die erste Hälfte lang jüngere, oft ruhigere Songs dominierten, mit denen ich nicht so vertraut bin, man anschließend aber einen Klassiker nach dem anderen raushaute. Sänger/Gitarrist Tommes (der mittlerweile immer mehr Ähnlichkeit mit Mike Ness aufweist) führte entspannt und souverän durch den Abend, die Band hatte sichtlich Bock und war äußerst spielfreudig. Vor der Bühne war von Beginn an was los und je älter die Stücke, desto ausgelassener und größer wurde der Pogomob. Zu Trinkliedern, selbstironischen Hymnen und Gassenhauern mit mal mehr, mal weniger Szenebezug gesellte sich nachdenkliches bis melancholisches Material – insgesamt eine gut zusammengestellte Mischung bei sehr gutem Sound, zu dem das Bierchen gut die Kehle herunterlief, bis auch ich mich dann und wann auf die Tanzfläche begab. Die ältesten Stücke waren „Lokalverbot“ und „Die Jungs von nebenan“, die in all den Jahren nurmehr an Charme gewonnen haben, am allermeisten los dürfte bei „Für ‘ne Handvoll Schnaps“ und – natürlich – „Ich werd‘ mich ändern“ gewesen sein, die nun wirklich alle mitsangen. Eine Pause vor den Zugaben sparte man sich („Wozu Zeit verschwenden?“), wies stattdessen lediglich darauf hin, dass diese nun folgen. Eine äußerst gelungene Working-Class-Punk’n’Beer’n’Roll-Party, in deren Zuge mir noch mal bewusst wurde, wie viele Hits 4 PROMILLE im Köcher haben, die tatsächlich für ein abendfüllendes Set auch ohne die vornehmlich englischsprachigen von Melly gesungenen Stücke reichen. Für den alten 4-PROMILLE-Spirit fehlen ihre Stimme und ihr Auftreten in jedem Falle, doch in dieser Form darf die Band von mir aus gern noch lange weitermachen. Und ich nehme mir an dieser Stelle mal vor, mich a) etwas intensiver mit den letzten Platten zu beschäftigen und b) nicht wieder so viele Jahre bis zum nächsten Wiedersehen verstreichen zu lassen…

P.S.: Danke ans Monkeys für den Gästelistenplatz!

Frank Schäfer – Der kleine Provinzberater oder Vom schönen Leben auf dem Lande

„Klein“ trifft’s hier sehr gut, denn mit 15,5 x 9,5 cm ist das hier wirklich ein Büchlein, allerdings gebunden, im Hardcover und mit Schutzumschlag sowie eingewebtem Lesezeichen – eine geradezu verschwenderische Aufmachung, die der Berliner Schwarzkopf-&-Schwarzkopf-Verlag diesem im Jahre 2012 veröffentlichten „Ratgeber“ spendierte. Auf rund 200 Seiten setzt sich der Braunschweiger Autor Frank Schäfer, vornehmlich bekannt für seine Essays und Bücher über Musik und Literatur, 50 in acht Themengebiete unterteilte Kapitel lang mit der Provinz auseinander, aus der er schließlich auch selbst stammt: Schäfer wurde im niedersächsischen Gifhorn sozialisiert. Jana Moskito ergänzte einige hübsche Schwarzweiß-Illustrationen.

In anekdotischer Form schildert Schäfer provinzielle Befindlichkeiten, sonderbare Kuriositäten, mal mehr, mal weniger skurrile Beobachtungen, persönliche Erlebnisse, häufig pointiert humorig, manchmal nachdenklich, mal liebevoll, mal angriffslustig, dann wieder selbstironisch. Manch Provinzler(in) schaute er aufs Maul und lässt das Transkribierte dann auch gern ohne weitere Zuspitzung im Raum stehen. Immer mal wieder schimmert eine Art Hassliebe zur Provinz durch, ohne die ein solches Buch vermutlich nicht möglich wäre.

Wenn er auf S. 104 Al Bundy eine verhinderte Baseball-Karriere andichtet, hätte ich ihm ein aufmerksameres Lektorat gewünscht (Football wär’s gewesen); interessante, kritische Worte zur popkulturellen Kunstfigur Tarzan entschädigen aber rasch für diesen Fauxpas. Mit Filmemacher Wenzel Storch war Schäfer im Gespräch, später geht’s plötzlich um Henry David Thoreau – über den er respektive der Suhrkamp-Verlag 2017 eine Biographie veröffentlichen sollte. Nicht erst, wenn es ohne erkennbare Bezugnahme auf S. 184 „wie ich weiter oben schon erzählt habe…“ heißt, ahnt man: Die Provinz dient hier eher als lose Klammer, manches könnte genauso gut in einer der der popkulturellen oder sich mit Literaturschaffenden auseinandersetzenden Essay-Sammlungen Schäfers stehen (und tut es vielleicht auch) oder war anderweitig bereits erstveröffentlicht worden. Nicht, dass mich das stören würde.

Das sehr persönlich geprägte Kapitel „Der älteste Sohn“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel Schäfer auch von tragisch-schöner Prosa versteht. Ebenso melancholisch fährt er im Abschnitt „Kind & Kegel“ mit einer weiteren Kindheitserinnerungen fort. Dennoch zieht sich mal subtiler, mal offensichtlicher Humor durch einen großen Teil des Buchs, das Abgesang und Liebeserklärung zugleich ist.

27.01.2023, Apollo, Elmshorn: S.D.I. + SCYTHE BEAST + DEHUMANISER

Die Heavy/Speed/Thrash-Metaller S.D.I. aus Osnabrück sind seit einiger Zeit wieder aktiv, nach wie vor in Triogröße, wobei die Klampfe seit der Reunion der junge Chris Friedl übernimmt. Das Comeback-Album „80s Metal Band“ hat mich zwar nicht vom Hocker gehauen, aber die Band hat ihre Hits und das irgendwie herrlich gegen den Strich gebürstete Debüt „Satans Defloration Incorporated“ aus dem Jahre 1986 genießt in Underground-Kreisen so etwas wie einen kleinen Kultstatus. Darauf, S.D.I. auch mal live zu sehen, hatte ich entsprechend Bock, zumal die Anreise nach Elmshorn von Hamburg aus kein Problem darstellt und das Apollo sich als feine Location entpuppte: ein umgebautes ehemaliges Kino in unmittelbarer Bahnhofsnähe. An der Abendkasse (15,- EUR) bekam man sogar noch ein echtes Papierticket ausgehändigt, das eingerissen wurde – oldschool!

Ziemlich pünktlich um 20:00 Uhr eröffneten DEHUMANISER den Abend, ein junges Hamburger Quartett, das bisher ein Album in Eigenregie veröffentlicht hat. Der große Saal ist mit einer guten Anlage ausgestattet, die ordentlich Wumms hat. Zwar hätte locker die vierfache Anzahl an Besucherinnen und Besuchern reingepasst, was der guten Stimmung indes keinen Abbruch hat. DEHUMANISER zockten einen Sound, den ich irgendwo zwischen NWOBHM und Thrash verorten würde. Den Gesang teilten sich der Rhythmusgitarrist und der Bassist, die ersten Nummern liefen gut rein. Im weiteren Verlauf klang man zunehmend schaumgebremst, haute als vorletzten Song aber einen waschechten Thrasher mit Schmackes raus, gefolgt von einem schön dreckigen, an MOTÖRHEAD erinnernden Stück, womit man das Publikum wieder erreichte und sich seinen verdienten Applaus abholte.

Die ursprünglich anscheinend als reines Studioprojekt gestarteten Niedersachen SCYTHE BEAST haben bereits zwei Alben draußen und spielten in Quintettgröße mit zwei Klampfen und neuem, auch bei CIRCUIT BREACH und FRANTIC DISRUPTION aktiven Sänger/Growler Gregor. Den Sound würde ich als Melodic Death älterer Schule bezeichnen (also eher mal ‘ne Thrash-Schlagseite denn IN-FLAMES-artiger Mallcore), und der konnte sich hören lassen. Stimmige Songs unter anderem über Panzer und Aluhut-Schwurbler und ein gut aufgelegter, gern mit dem Publikum kommunizierender Sänger sorgten (nach einigen Animationsversuchen) für Bewegung vor der Bühne und ließen die Bierchen munden. Hat mir gefallen und würde ich mir auch wieder angucken (sofern man sie im Billing nicht mit x gleichförmigen, monotonen Death-Metal-Bands kombiniert).

Nach einer erneut recht kurzen Umbaupause eröffneten S.D.I. ihr Set mit „80s Metal Band“, um im weiteren Verlauf insgesamt 20 Songs zu spielen, bei denen, wenn mich nicht alles täuscht, der Fokus auf den ersten beiden Alben lag. Insbesondere die flotteren Stücke stießen auf viel Gegenliebe, wobei ich mich aber auch sehr über das getragene „You’re Wrong“ gefreut habe. „Panic in Wehrmacht“ habe ihnen seinerzeit einigen Ärger eingehandelt, ließ Frontmann Reinhard Kruse wissen, der kurioserweise jede seiner Ansagen mit „So, meine lieben Freunde…“ begann.  Das Akustik-Intro „Coming Again“ zu ihrem vielleicht größten Hit, dem antifaschistischen Ohrwurm „Sign of the Wicked“, intonierte Kruse stilecht auf einer Akustikklampfe. Zwischen den Songs wurde immer mal wieder der alte Schlachtruf reanimiert, sprich: Kruse brüllte „S.D.I.!“ von der Bühne, was zig Kehlen mit „Megamosh!“ beantworteten – bis dieser Song dann tatsächlich irgendwann auch gespielt wurde. Während des ersten Set-Drittels flog spaßigerweise ein Papierfliege durchs Publikum, auch mal auf die Bühne, und immer wieder zurück, bis er irgendwann vermutlich zu zertrampelt war. Die Stimmung war ausgelassen, die Band fit, der Sound gut – das war ‘ne sehr runde Sache, bei der ich ‘ne Menge Spaß hatte: Ein unprätentiöses Metal-Konzert vor Kennerpublikum, das ‘ne ordentliche Schneise in die Bar gesoffen hat. Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich nie gedacht, S.D.I. überhaupt mal live zu Gesicht zu bekommen, was dieses Konzert besonders reizvoll für mich gemacht hatte. Schade nur, dass mit „The Deal“ eines meiner Lieblingsstücke nicht gespielt wurde. Aber man kann halt nicht alles haben.

13.01.2023, Hafenklang, Hamburg: TOTAL CHAOS + SMALL TOWN RIOT + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Ausgerechnet an einem Freitag, dem 13. sollte endlich unsere heimische Live-Premiere in der aktuellen Besetzung mit Holler am Bass und Eisenkarl an der Schießbude stattfinden – nach dem Festival in Schweden im letzten Sommer und dem Gig im Goldenen Salon, bei dem Holler leider kankheitsbedingt ausgefallen war und wir ohne Bass antraten. Unser Pech beschränkte sich jedoch auf eine abenteuerliche Anfahrt Hollers, der es aufgrund eines Polizeieinsatzes in seiner U-Bahn und einer anschließend gemeldeten technischen Störung des Zugs spannend machte, wann er überhaupt eintreffen würde. Klappte letztlich aber alles, wenngleich die Bahn in anderen Regionen offenbar erfolgreich verhinderte, dass Gäste, die bereits auf dem Weg waren, es überhaupt noch zu uns schafften. Mal wieder ein dickes FICK DICH an die Deutsche Kackbahn! Vor unserem Soundcheck hieß es „Mangiare!“ und ich fühlte mich mal wieder darin bestätigt, diesen ganzen Bandbums in erster Linie aus kulinarischen Gründen zu machen: Thommy von LOSER YOUTH und vom Brot-Fanzine servierte leckerstes Soja-Gulasch mit Trikolore-Spirelli, dazu Stir-Fried-Bohnen, frischen Salat, (natürlich) Brot, Dips… In diesem Schlaraffenland fraß ich mir ‘ne kugelrunde Plauze und solide Grundlage für den kommenden Umtrunk an. Feinschmecker-Dank!

Beim Soundcheck bemühten wir uns um einen guten Bühnensound, besonders der Monitore, und begrüßten anschließend neben unserem weltbesten Mercher Carlo die aufgrund des seit Tagen, wenn nicht gar Wochen andauernden Hamburger Schmuddelpisswetters i.d.R. klitschnass nach und nach eintreffenden bekannten Gesichter, die zum Teil extra aus dem Pott angereist waren.

Pünktlich um 21:00 Uhr begaben wir uns auf die Bretter und kloppten knapp 40 Minuten lang unser deutsch- und englischsprachiges Set durch, das mit dem während der Pandemie entstandenen HENRY-VALENTINO-Cover „Sunnyboy“ und dem brandneuen „Blutgrätsche“ zwei Live-Premieren enthielt. Kai hatte ‘nen neuen Amp, aber seine gute alte Flying-V dabei und untenrum gab’s glaub‘ ich auch neues Gedöns in Form von Tretminen. Soll er machen; Hauptsache, er klingt wie immer! 😛 Der Zuspruch des Mobs war von vornherein sehr erfreulich und steigerte sich von Song zu Song, vor der Bühne wurde ausgelassen getanzt und gesoffen. Ein paar Spielfehler verzieh man uns, forderte am Schluss sogar noch ‘ne Zugabe, die wir in Form des PROJEKT-PULVERTOASTMANN-Krachers (also Hollers alter Band) „ACAB“ auch lieferten. Hat arschviel Spaß gemacht, wenngleich der Monitorsound gegenüber dem Soundcheck wegen Rückkopplungen relativ stark heruntergeregelt werden musste und wir deutlich merkten, dass wir noch keine Live-Routine haben – was sich dieses Jahr hoffentlich ändern wird. Nun aber hieß es erst mal, sich die anderen Bands reinzupfeifen und sich volllaufen zu lassen.

Ich hatte mir schon länger gewünscht, auch mal mit MOTHERFUCKERS im Hafenklang zocken zu können, nachdem ich mit meiner anderen Combo bereits mehrmals das Vergnügen hatte. Umso geiler, dass das mit einem der mittlerweile seltenen Auftritte meiner alten Kumpels von SMALL TOWN RIOT zusammenfiel. Diese dürften weitestgehend dasselbe Set wie im April im Bambi gespielt haben, es reihte sich jedenfalls Hit an Hit. Hymnischer bis härterer, rotziger Streetpunk’n’Roll, gern mal mit Fuß aufm Gas und unwiderstehlichen Melodien, für den ein beträchtlicher Teil des Publikums an diesem Abend erschienen war – und es vom ersten Akkord an kräftig krachen ließ: Pogo, permanent verspritztes Bier und sogar Crowdsurfing. Ich sah mir das Spektakel diesmal aus sicherer Entfernung an und grinste über beide Backen. Als mich plötzlich auch noch ein alter Jugendfreund entdeckte, den ich seit gefühlt 100 Jahren nicht mehr gesehen hatte, war der Klassentreffencharakter (den die Band auch von der Bühne aus ansprach) perfekt. Ohne Zugabe ging’s auch hier nicht, das flotte „It’s True“ brachte Band und Publikum noch mal ins Schwitzen. Eigenen Aussagen zufolge hatte man vorher lediglich einmal geprobt, was SMALL TOWN RIOT nicht anzumerken war: Beinahe alles schien locker aus dem Handgelenk geschüttelt, als mache man jedes Wochenende nichts anderes. Chapeau!

TOTAL CHAOS aus L.A. (und Bremen) schauen regelmäßig auf Tour vorbei, sind sehr umgängliche Typen und Garanten für launige Gigs mit der ihnen eigenen Mischung aus aggressiven Hardcore-/Chaos-Punk-Eruptionen und dreckigen Streetpunk-Nummern. Bereits seit 1992 veröffentlicht die Band um Sänger Rob Chaos Alben, das jüngste datiert auf 2015. Eine echte Institution im Punkbereich also, die konsequent ihren Stiefel durchzieht, stets überaus faire Eintrittspreise aufruft und mit ihrer Attitüde beweist, dass man auch nach derart langer Zeit als gefragte Band im Punkrock-Game die Nase nicht höher als andere tragen muss. An unseren Support-Gig im Monkeys anno dazumal habe ich nur gute Erinnerungen, live gesehen hatte ich sie zuletzt 2019 im Semtex. Wurde also mal wieder Zeit! Direkt zu Beginn wurden einige HC-Punk-Geschosse gezündet (z.B. „Babylon“) und es schepperte ordentlich. „Punk No Die“ durfte natürlich nicht fehlen, aber dann, irgendwo zwischen erstem Drittel und der Hälfte des Sets, quatschte ich mich backstage fest und war überrascht, als die Band plötzlich wieder reinkam und der Gig schon vorbei war. Was ich bis dahin gesehen und gehört hatte, war jedenfalls der von TOTAL CHAOS gewohnt unprätentiöse, herrlich raue, aber nie zu spröde Punk, wie man ihn aus dem Land von Epitaph und Fat Wreck viel zu selten zu hören bekommt. Freue mich auf den nächsten Hamburg-Gig!

Eigentlich war ich langsam, aber sicher auch schon reif für die Koje, ließ mich aber noch auf eine Geburtstagsparty in die Lobusch mitschnacken – soweit ich meinen Erinnerungen trauen kann glücklicherweise ohne es noch vollends zu übertreiben. Motherfucker-Dank der Hafenklang-Crew, allen Bands und dem überaus begeisterungsfähigen Publikum für diesen Abend ganz nach meinem Geschmack!

P.S.: Zeitgleich hatte ein Konzert mit FLIEHENDE STÜRME und RESTMENSCH auf der MS Stubnitz stattgefunden, das offenbar auch gut angenommen worden war. Es freut mich, dass es in dieser Clubgröße in Hamburg offenbar wieder möglich ist, zwei Punk-Konzerte parallel stattfinden zu lassen, ohne dass eine(r) der Veranstalter(innen) in die Röhre guckt. Am nächsten Tag luden sogar BLUT & EISEN und die EMILS ins Indra, wo ich unter normalen Umständen hingegangen wäre. Diesmal lag ich in sauer, aber der nächste BLUT-&-EISEN-Gig in HH ist meiner!

P.P.S.: Danke an Dr. Martin und Hannes für die Schnappschüsse unseres Gigs!

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