Günnis Reviews

Kategorie: Konzertberichte (page 2 of 44)

17.04.2024, Kulturpalast, Hamburg: BLAZE BAYLEY + ABSOLVA

Da es schon ewig her war, dass ich den ehemaligen IRON-MAIDEN-Sänger BLAZE BAYLEY live gesehen hatte, war ich voller Vorfreude auf seinen Hamburger Abstecher im Zuge seiner Tour zum dreißigjährigen Jubiläum seines Einstiegs bei den Eisernen, der 1995 und 1998 zwei Alben mit ihnen veröffentlichte, nachdem Bruce Dickinson zeitweilig ausgestiegen war. Die Fan-Resonanz war seinerzeit eher verhalten, insbesondere live wollte Blaze‘ dunkleres Timbre nicht so recht zum Dickinson-Material passen. Ich bin seit jeher der Meinung, dass man aus beiden Alben ein einzelnes, richtig fettes hätte machen können, und tatsächlich sind im Laufe der Zeit etliche Songs zu Klassikern gereift. Blaze veröffentlicht zudem auch wieder fleißig Solomaterial, lässt sich auch von einem Herzinfarkt nicht stoppen und hat mit „Circle of Stones“ eine aktuelle Langrille am Start. Das Publikumsinteresse war derart groß, dass das Konzert vom kleinen Kellerclub Bambi galore in den wesentlich größeren Kronensaal des Kulturpalasts verlegt wurde – bei fairen 20,- EUR Eintritt. Ein bis eineinhalb Stunden vor Konzertbeginn nahm sich Blaze für ein kostenloses „Meet & Greet“ Zeit, signierte Material und ließ Fotos mit sich schießen – das ist gelebte Fan-Nähe.

Seine Band besteht aus den Mitgliedern der Heavy-Metal-Kapelle ABSOLVA aus Manchester, die auf dieser Tour zudem das Vorprogramm bestreitet, also unter Doppelbelastung steht. Ein Begriff waren ABSOLVA mir bisher nicht, was sich an diesem Abend änderte. „Hells Bells“ erklang als Intro aus der Konserve, sodass ich mich kurz bei einem Spiel des FC St. Pauli wähnte, wobei hier die P.A. leider nicht ganz mitkam und der AC/DC-Hit nach 96-kbps-MP3 klang. Live fiel mir ziemlich nerviges Bassgeklacker auf, entweder von der Bassdrum oder vom Bassisten kommend, vielleicht auch von beidem – wurde zum Glück mit der Zeit besser, irgendwann aber auch wieder schlimmer. Der Sänger/Gitarrist zog gern Grimassen auf der Bühne, die Background-Chöre kamen gut, einige coole Gitarren-Leads kristallisierten sich heraus, auch mal mit der zweiten Klampfe gedoppelte. In eine der Nummern integrierte man einen „Ohoho“-Mitsingpart fürs Publikum, das tatsächlich auf Temperatur kam. Dann sollten alle einen Schritt näherkommen und die Hände überm Kopf zusammenschlagen. Ein Animationsversuch, der Früchte trug; im nun zusammengerückten Pulk kam man sich im ohnehin mehr als ordentlich gefüllten Saal wie auf einem engen, etwas drängeligen Gig vor, was zur entsprechenden Atmosphäre beitrug. In „Code Red“, laut Band seinerzeit ihre erste Single, fiedelten beide Gitarristen ein feistes Synchron-Angebersolo. Vor „Refuse“ bat man das Publikum um eine Pose und nahm ein Video auf, im Song erklang dann ein weiteres Angebersolo inklusive Tapping und so’nem Zeug. Die Publikumsanimationen nahmen immer weiter zu, was die Show aber ziemlich unterhaltsam gestaltete. Nach weiterem Synchron-Sologewichse war irgendwann Schluss.

Nach einer etwas längeren Pause, die sich ABSOLVA redlich verdient hatten, betraten sie erneut die Bühne, gefolgt vom herzlich empfangenen Blaze. Man spielte „Lord of the Flies“ als Opener an, brach aber rasch ab, damit sich Blaze über die mangelnde Publikumsaktivität beschweren konnte – schließlich gölten BLAZE-BAYLEY-Fans als die lautesten Mitsinger wo gibt und überhaupt zähle nur der Moment und der morgige Tag sei jetzt einfach mal scheißegal. Das war natürlich eine von vornherein eingeplante Unterbrechung, die aber die gewünschte Wirkung zeigte. Weiter ging’s mit „Sign of the Cross“, einer alles andere als anspruchslosen Nummer (was auch fürs später gespielte „Virus“ gilt), die live erst ihre ganze Kraft entfaltet und durch die heute von Blaze animierten, fantastischen Publikumsreaktionen noch eine Ebene höhergehievt wurde. Spätestens ab jetzt wusste ich: Das wird ein hochklassiger Gig! Bei „Judgement of Heaven“, jenem Song, dessen Refrain man so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt, bekam ich dann erstmals Gänsehaut. „Fortunes of War“ war nach „Sign of the Cross“ ein weiteres gelungenes Beispiel für die getrageneren, düstereren MAIDEN-Songs der Bayley-Phase, bevor er mit „Circle of Stone“ und „Rage“ zwei Songs vom aktuellen Soloalbum strategisch gut im Set platzierte. Blaze hing sich in jeden Ton voll rein und zeigte vollen Einsatz. Und das nach ‘nem Herzinfarkt – Respekt!

„When Two Worlds Collide“ und „Lightning Strikes Twice” zählen zwar nicht gerade zu meinen Favoriten aus Maidens Blaze-Ära, kamen an diesem Abend aber sehr hörenswert rüber. Zwischen beiden Nummern wurde ein krass geshreddetes Gitarrensolo untergebracht. Bei „The Clansman“ über den schottischen Freiheitskampf gab es dann gar kein Halten mehr und das Publikum sang mit, so laut es konnte. Der Stimmungshöhepunkt des Abends! Generell wurden bei den Klassikern vor der Bühne jeder Refrain und jede Gitarrenmelodie mitgesungen – und drohte dies einmal nachzulassen, riss Blaze wieder die Arme in die Luft und animierte zum Weitermachen. Im weiteren Verlauf musste Blaze „Man on the Edge“ allerdings wieder abbrechen und mahnend an seine Worte vom Beginn erinnern. Anschließend stellte er die Bandmitglieder vor und nahm sich die Zeit, zu erläutern, welche Bedeutung all dies für ihn hat, ermutigte aber auch das Publikum zur Selbstermächtigung. „Futureal“, einer meiner ewigen Lieblinge, war dann bedauerlicherweise schon die vorletzte Nummer, bevor Blaze ausgerechnet mit dem Stinker „The Angel and the Gambler“ sein Set beschloss. Da hätte ich doch lieber noch beispielsweise „Don’t Look to the Eyes of a Stranger” gehört.

Sei’s drum! Das war ein begeisterndes Konzert, Heavy-Metal-Entertainment vom Feinsten mit einer technisch überaus versierten Band und einem bestens aufgelegten, anscheinend topfitten BLAZE BAYLEY! Und ich finde es großartig, dass man für die Dickinson-Songs auf reguläre IRON-MAIDEN-Konzerte gehen kann, fürs Material der Frühphase zu PAUL DI’ANNO und für die ‘90er-Ära eben zu BLAZE BAYLEY.

Auf der Rückfahrt lauschte ich einem Gespräch zwischen ein paar Endfünfzigern, von denen einer Blaze‘ Worte zur Selbstermächtigung rekapitulierte und als Konsequenz eine Tankstelle anzusteuern überlegte, um sich eine Palette Bier zu besorgen. Dass Blaze auch mehrmals darauf hinwies, dass man heute den morgigen Tag komplett ausblenden solle, fügte ich kurzerhand an, um ihn in seinem Vorhaben zu unterstützen…

11.04.2024, Markthalle, Hamburg: SARAH BOSETTI – Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!

Die Aktivitäten der Kabarettistin, Satirikerin, Autorin und Moderatorin Sarah Bosetti lernte ich kennen, als mir meine Liebste „Bosetti will reden!“-Beiträge vorspielte, kurze Clips, in denen sie sich seit dem Jahre 2020 rhetorisch ausgefeilt und unheimlich pointiert zu gesellschaftlichen und politischen Themen äußert. Ihren vierteiligen Fernsehversuch „Bosetti die Erste“ fand ich dann nicht so prall und in ihrer seit Ende 2023 auf 3Sat ausgestrahlte monatlichen Late-Night-Show erscheint sie mir politisch zuweilen ein wenig naiv, trumpft aber auch dort immer dann auf, wenn sie ihre Schlagfertigkeit und ihre kabarettistischen Stärken ausspielen kann. Als ich einer Litfaßsäule entnahm, dass sie mit ihrem aktuellen Buch „Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!“ (anscheinend bereits seit über einem Jahr) tourt und ich ohnehin noch ein Geburtstagsgeschenk für meine wesentlich bessere Hälfte brauchte, erntete ich rasch zwei Karten ab und war gespannt darauf, was uns erwarten würde.

In der Markthalle war ich bisher lediglich auf Konzerten, noch nie auf einer bestuhlten Veranstaltung wie dieser. Diese war ausverkauft bei freier Platzwahl, rechtzeitiges Erscheinen sicherte also vernünftige Plätze. Bosetti nahm an einem Tisch auf der Bühne Platz, hinter ihr wurden einzelne Zitate von Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Interesses an die Wand geworfen. Das Programm entpuppte sich als Mischung aus klassischer Lesung und bissigem satirischen Kabarett: Dem Motto „Mit Poesie gegen Populismus“ entsprach Bosetti, indem sie mit hinsichtlich ihres strukturellen Aufbaus und ihrer Sprachgewandtheit recht anspruchsvollen und inhaltlich ebenso spöttisch-witzigen wie in ihrer Aussage klugen humanistischen Gedichten auf populistische Aussagen reagierte, die mitnichten lediglich im rechtsextremistischen Spektrum zu finden sind. Dies tat sie mit perfekten Betonungen und ohne sich auch nur einmal zu verhaspeln oder in der Zeile zu verrutschen. Zwischen den jeweiligen Deklamationen kommunizierte sie mit dem Publikum, flocht Anekdoten ein und unterfütterte ihre Poesie mit Hintergrundinformationen und blieb dabei stets im sympathischen wie humorigen Duktus.

Nach ungefähr der Hälfte gab es eine Pause, die auf ca. eine halbe Stunde ausgedehnt wurde, sodass auch angesichts der Schlangen am Getränkestand keine Hektik ausbrach. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber insgesamt dürfte Bosetti es auf rund zwei Stunden Spielzeit gebracht haben. Mit welcher Eloquenz, Empathie und scheinbarer Gelassenheit Bosetti dem populistischen, rechtsextremistischen oder auch schlicht idiotischen Wahnsinn entgegentritt, ist eine hohe Kunst, die sie offenbar in Form eines solchen Bühnenauftritts am besten ausleben kann – und Balsam für die Publikumsseele. Leider muss sie dafür in Kauf nehmen, angefeindet und bedroht zu werden, wovor in heutigen Zeiten allerdings kaum jemand gefeit ist, der öffentlich Haltung beweist. Auch sprachlich war das alles höchst interessant, denn Bosetti ist nicht zuletzt eine großartige Rhetorikerin. Der viele Applaus, mit dem sie bedacht wurde, war da nur angemessen und gerecht.

Im Anschluss verkaufte und signierte sie noch ihr aktuelles Buch, das bei Rowohlt erschienen ist. Meine Liebste erstand ein Exemplar, das nun die Widmung „Für Flo und Günni“ ziert. Eine schöne Erinnerung an einen überaus gelungenen Abend! So was könnte man eigentlich öfter mal machen.

09.04.2024, Bambi Galore, Hamburg: TOXIKULL + VENATOR

Darauf, die Österreicher VENATOR mal live zu sehen, hatte ich mich schon länger gefreut. Die nach dem einheimischen Wort für „Tomate“ benannte 3-Song-Mini-LP aus dem Jahre 2020 hatte es mir angetan; das 2022 erschienene Debüt-Album „Echoes from the Gutter“ enthält ebenfalls feinen Oldschool-Metal-Stoff, der mich an Mitt-‘80er-Mausoleum-Bands oder auch Geheimtipps wie die dänischen RANDY erinnert. Bisschen doof, dass die gemeinsame Tour mit den portugiesischen Heavy-/Speed-Metallern TOXIKULL statt am Wochenende ausgerechnet an ‘nem Dienstag im Hamburger Bambi haltmachte, aber hilft ja nüscht. Dafür war die Bude ganz ansehnlich gefüllt, als VENATOR mit „Blind Ambition“ den Anfang machten und anschließend erwartungsgemäß viel Albumstoff zockten, als dritten Song aber mit dem bisher unveröffentlichten speedigen „Steal The Fire“ auch einen Ausblick aufs offenbar kommende zweite Album gewährten. Hits wie „Nightrider“, „Manic Man“ und das hardrockige „Streets of Gold“ sind auch live wahre Ohrenschmeichler, die – wie der ganze Gig – entsprechend wohlwollend vom Publikum aufgenommen wurden. Leider läutete der Titelsong der Mini-LP, „Paradiser“, dann auch schon das Ende ein, für eine Zugabe war anscheinend keine Zeit mehr. Das ist auch deshalb äußerst bedauerlich, weil sie anderswo angeblich den Überhit „The Beast“ der eingangs erwähnten RANDY als Zugabe gezockt haben. Hrmpf. Zu den Mitt-‘80ern passt bei VENATOR übrigens auch das optische Erscheinungsbild der Musiker perfekt, von den Frisuren über die Schnurries bis hin zu Kleidung und Posen. Das wirkt aber weniger wie bemühter Retrokult als vielmehr wie ein Ausdruck von Authentizität, die die Band mit ihrem wunderbar atmosphärischen Heavy Metal mit zwei Gitarren, dafür ohne jeden Firlefanz erzeugt. Die Monitorprobleme, die einer der Klampfer hatte, schienen sich nicht auf die Qualität seines Spiels auszuwirken, und der P.A.-Sound war grandios. Die Sprachbarriere zwischen Österreichisch und Norddeutsch überwand der vornehmlich dem halligen Klargesang verpflichtete Sänger interessanterweise durch konsequent auf Englisch gehaltene Ansagen. Klasse Band, von der man hoffentlich noch einiges hören wird.

TOXIKULL sind schon ein paar Jährchen länger am Start, ihr Debütalbum datiert aufs Jahr 2016. 2019 folgte dessen Nachfolger „Cursed and Punished“ und im heurigen Februar wurde die neue Langrille „Under the Southern Light“ veröffentlicht – die ich noch gar nicht kenne. Basser Antim leistet sich die Extravaganz, einen fünfseitigen Bass zu spielen, ansonsten regiert aber auch hier ein Sound der alten Schule mit zwei Gitarren. Lex Thunder, einer der Gitarristen, übernimmt zugleich den Gesang und wird dabei vielfach von Antim unterstützt, der beim dritten Song sogar den Hauptgesang übernahm. Speed Metal wie „Nightraiser“ oder „Cursed and Punished“ ging einher mit Material vom neuen Album, das eher im klassischen Heavy Metal zu Hause zu sein scheint. Das davon dargebotene „Around The World“ jedenfalls klang rockiger als das ältere Material, und auch die nächste Nummer, die mit einem kurzen Mitsingspielchen eingeleitete, priestige, an „Metal Gods“ erinnernde Stampfnummer „Battle Dogs“ (witzigerweise hatte ich stets „Metal Dogs“ verstanden…) drosselte das Tempo. Unter den weiteren neuen Songs fand sich sogar ein sehr getragenes Stück, gegen Ende brachte man dafür das sehr kompetent gezockte MOTÖRHEAD-Cover „Iron Fist“ unter.

Ein ausgesprochen schöner Konzertabend für Freundinnen und Freunde des verchromten Echtmetalls.

23.03.2024, Zenit, Stendal: KULTURROTZE + PEST HOLE + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS

Endlich mal wieder ‘ne Auswärtsfahrt – eine aufgrund der freundschaftlichen Bindungen zwischen der Hamburger Lobusch und dem Stendaler Zenit eigentlich überfällige. Am Samstag war’s endlich so weit, und da wir nur das Nötigste an Equipment mitzuschleppen brauchten, konnten wir bequem mit Regionalbahnen hin und auch wieder zurück. Zumindest fast, aber dazu später mehr. Da wir alle so’n Schland-Ticket haben, fielen nicht mal Spesen an. Dass wir so blöd waren, statt in Schwerin schon in Schwerin-Süd umzusteigen, brachte den Zeitplan glücklicherweise nicht durcheinander, denn unser Anschlusszug hielt auch dort. Auf der letzten Teilstrecke mit einer ungewöhnlich komfortablen S-Bahn sahen wir ganz ohne bewusstseinserweiternde Substanzen einen fetten Regenbogen, bevor wir pünktlich (wenn Könige reisen, oder wat?) am Stendaler Bahnhof eintrafen und stante pede abgeholt und zum Zenit chauffiert wurden. Bei diesem handelt es sich um ein ehemaliges Tanzlokal in sehr angenehmer Größe, das nun von der örtlichen Punkszene verwaltet wird. Die Zeit scheint dort stehengeblieben zu sein: Die 0,33-l-Pulle Bier kostet ‘nen lumpigen Euro, das große Ur-Krostritzer einsfuffzsch. Es gibt ‘ne Bar, ‘ne Küche, wo uns ein schmackhaftes Chili zubereitet wurde, ‘nen großen Billardtisch, Kicker etc., ‘nen Vorraum für Merchstände, einen Proberaum und ‘nen mit Matratzen ausgestatteten Schlafsaal für die Bands. Ich kam mir vor wie im sozialistischen Ausland.

Wir waren nur zu dritt gereist, da unser Basser Holler tags zuvor in Wismar mit seiner anderen Band, den THRASHING PUMPGUNS, gelärmt hatte und direkt von dort mit seinem persönlichen Fahrer anreiste – leider etwas lädiert und ohne Brille. War anscheinend hoch hergegangen, was seinen Tribut forderte. Ziemlich flott konnten wir das Schlagzeug aufbauen, uns auf der Bühne einrichten und soundchecken, während nach und nach die anderen beiden Bands eintrudelten. Probleme machten die Monitore, die partout nicht funktionieren wollten, bis Eisenkarl die Verkabelung zusammen mit dem Soundmann inspizierte und die Ursache fand. Da wir nun ohnehin schon unsere Plünnen und unseren Sound auf der Bühne hatten, bot es sich an, den musikalischen Teil des Abends auch zu eröffnen, was wir gegen 21:15 Uhr in einer zwar nicht rappelvollen, aber für ein sachsen-anhaltinisches Städtchen wie Stendal beachtlich gefüllten Bude taten. Die Stimmung war gut, während wir unsere 16 Nummern durchpeitschten, und ein paar Leute brachten wir zum Tanzen. Bei unserem jüngeren Material holperte es hier und da noch ein wenig, dafür gab’s mit „Another Hero Undead“ eine Live-Premiere. Unser PROJEKT-PULVERTOASTMANN-Cover zockten wir als Zugabe. Anschließend konnten wir das Gefühl genießen, die „Arbeit“ erledigt zu haben und trinkenderweise die anderen Bands zu begaffen.

PEST HOLE aus (passenderweise) Finsterwalde spielen todesmetallischen Crust-Punk und zockten tags zuvor bereits mit den PUMPGUNS in Wismar. Ob sie Hollers Brille auf dem Gewissen haben, ist nicht überliefert, auszuschließen ist es aber nicht, denn der Sound des Trios mit gutturalen, halligen Aggro-Vokills kracht splitternd auf die Zwölf und erfreute insbesondere jenen Teil des Publikums, der auf die grobe, tiefgestimmte Kelle steilgeht. In No-Bullshit-Manier zog man konsequent durch und war schon fertig, als ich mich aus der Merch-Ecke losgeeist und gerade auf sie eingegroovt hatte. ‘ne Zugabe gab’s leider nicht, ging ansonsten aber absolut klar!

Selbstbeschreibung KULTURROTZE, aus dem Netz geklaubt: „Wir spielen dreckigen, ehrlichen Kellerpunk, keine überproduzierte, geleckte Musikstudenten-Heulsusen-Plasticpunk-Scheisse. Wir sehen uns in Tradition alter 80/90er Deutschpunkbands vor allem jedoch in Zonenpunk!“ Dat kann man auch gut so stehenlassen, denn was die drei Bitterfelder und die Bitterfelderin da aufs Tapet brachten, war die gute alte, wütende HC-/Rotzpunk-Schule mit direkten, offensiven Texten und bewusst einfach gehaltenem Sound, der live fast genauso gut sägte wie ich später auf der Matratze. Lief ebenso gut rein wie das Ur-Krostritzer und besiegelte mit der Zugabe, dem VORKRIEGSJUGEND-Cover „Vaterland“, einen geilen Konzertabend.

Ein Großteil der Anwesenden blieb noch länger vor Ort, kaufte fleißig Merch, man konnte sabbeln, feiern und wir uns irgendwann gehackt legen, um in Form eines Schnarchkonzerts ein paar späte Zugaben zu kredenzen und den armen Kai Motherfucker damit um den Schlaf zu bringen… Danke ans Zenit für die herzliche Gastfreundschaft, Essen, Freibier, Pennplätze, das Brötchen-Kaffee-Vita-Cola Frühstück am nächsten Morgen und die unverhoffte Einlage in die Bandkasse, mit der wir gar nicht gerechnet hatten! Zur Mittagsstunde fuhr man uns wieder zum Bahnhof, von wo aus wir diesmal nicht um den Ersatzverkehr mit dem Bus nach Uelzen herumkamen, der quer durch die niedersächsische Tristesse tuckerte… Trotzdem kamen wir auch pünktlich zu Hause an, nix zu meckern also!

16.03.2024, Bahnhof Pauli, Hamburg: STOMPER 98 + EMSCHERKURVE 77

Mein viertes Konzert dieses Jahr, davon das dritte, das ausverkauft war – aber auch das dritte, für das ich trotzdem noch ‘ne Karte bekam. Und glücklicherweise nicht nur ich, sondern auch meine Liebste, sodass wir zusammen den Reeperbahn-Club Bahnhof Pauli aufsuchen konnten, der eigentlich nicht dafür bekannt ist, Bands der Punk-/Oi!/HC-Szene zu beherbergen. Vorab: Um STOMPER gab’s in der Vergangenheit einige Kontroversen, die beigelegt zu sein scheinen. Anderenfalls würden Bands wie die BROILERS oder EMSCHERKURVE 77 wohl auch nichts mit den Göttingern machen und würde M.A.D. Tourbooking nicht die Gigs organisieren, Bandkopf Sebi nicht fürs Ox schreiben usw. An mein letztes STOMPER-Konzert kann ich mich nicht mehr erinnern, so lange ist es her – das dürfte in der ersten Hälfte der 2000er gewesen sein…? Aufgemerkt hatte ich erst wieder beim für mich überraschend klugen „Agenda der Angst“ vom 2018er-Album, und die aktuelle Platte der mittlerweile zumindest für Studioaktivitäten um Lars Frederiksen von RANCID verstärkten Band hat neben Pathos und deutlichen Frankfurter Einflüssen doch so einiges zu bieten. Dass auch Freunde das Konzert besuchen würden und ich neugierig wurde, wie so’n STOMPER-Gig heutzutage wohl aussieht und klingt, gab letztlich ziemlich spontan den Ausschlag, noch irgendwo Karten abzugreifen und mal vorbeizuschauen. Im Zweifelsfall (also wenn’s ätzend wird), verbuche ich’s unter Feldstudie.

Als wir uns in den im Stile einer U-Bahnstation eigentlich recht schick gestalteten Laden zwängten und uns an die unglücklich mit den WC-Gängern kollidierende Schlange des mit nur einer Person unterbesetzten Getränkestand anstellten, um überteuertes Bier zu erwerben (Astra und Holsten Edel 0,3 l für 3,80 EUR?! Carlsberg 0,3 l 4,- EUR?! Ernsthaft??), spielte die EMSCHERKURVE schon. Am Rande des Saals klang der Gitarrensound reichlich dünn, also mehr mittig reingedrängelt, wo’s besser wurde – vermutlich wurde auch noch mal nachgeregelt. Die Band aus dem Ruhrpott verstand sich ganz als Anheizer und zockte viele Coverversionen, darunter „Wochenendhelden“ (eingedeutschtes „Saturdays Heroes“ von THE BUSINESS), den SLIME-Klassiker „Religion“, „Alte dreckige Stadt“ (das Traditional „Dirty Old Town“) und „Das Schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“ vonne befreundeten KASSIERER, aber auch ‘nen eigenen Ohrwurm-Singalong wie „Wir haben den Punk verstanden“, jeweils mit mehrstimmigen Gesängen. Die Stimmung war gerade am bisherigen Siedepunkt angelangt, als EK77 ziemlich abrupt ihren Auftritt beendeten und trotz lautstarker Zugabe-Rufe nicht mehr wiederkamen. Nach dem Konzert sprach ich Sänger Spiller darauf an und er bestätigte, was ich mir schon gedacht hatte: Der Zeitplan war zu eng, weil im Anschluss noch irgend’ne Disco oder so was hatte stattfinden sollen. Boah ey, wie ich so was liebe…

Zum Rauchen ging’s vor die Tür, das Bier musste dafür aus den Glasflaschen in Plastikbecher umgefüllt werden – und zwar schon deutlich vor 22:00 Uhr, obwohl die Verordnung erst ab dann gilt. Drinnen entdeckten wir dann einen wesentlich größeren Ausschankbereich am anderen Ende des Saals, wodurch es sich auch verschmerzen ließ, dass der andere, kleinere, plötzlich dichtmachte. Allerdings war irgendwann das Carlsberg alle. Man hat’s nicht leicht! Davon sangen dann auch STOMPER 98 ein Lied: „Niemand hat gesagt, dass es leicht wird“ klang so viel fetter als auf Platte und wurde wie fast jeder Song von etlichen Anwesenden lauthals mitgesungen, was für eine beeindruckende Klangkulisse sorgte. Sänger Sebi stand am vordersten Bühnenrand und dirigierte mühelos das Publikum, wobei er sich die Bühne mit fünf Bandkollegen teilte: Neben der Rhythmussektion spielt STOMPER mit zwei Gitarristen und einem Saxofonisten, der die eingängigen Melodien mal vorgibt und mal unterstützt oder auch zwischendrin soliert. Man hatte sich ‘ne offenbar zünftige Best-Of-Setlist zusammengeklöppelt, von der ich dann irgendwie doch erstaunlich viel kannte (live ein ziemlicher Hammer: „Antisocial“), ergänzt um Material vom neuen Album, auf das man selbstbewusst immer wieder den Fokus lenkte und bei dem das Publikum genauso textsicher war. Empowernde Oi!-Punk-Hymnen zum Fäusterecken zwischen pathetisch und arschtretend, die manch Klischee nicht nur streifen, sondern anscheinend gezielt bedienen (z.B. „Boots, Bier und Bomberjacken“ – inkl. von den LOKALMATADOREN entlehntem „Bababa“-Intro), damit in jedem Falle Geschmackssache sind, aber den Nerv sowohl der Pogofraktion als auch der Mitbrüllenden dahinter trafen. Im Set fanden sich ferner neue Perlen wie „Wir halten die Fahnen weiter hoch“ über zu früh von einem gegangene Freunde oder das fast schon hardcore-punkige, polit- und gesellschaftskritische „Deutschland im Chaos“, vor dem Sebi in seiner Ansage mit der Legende aufräumte, Oi!-Musik sei komplett unpolitisch, und der verfickten AfD eine unmissverständliche Absage erteilte. Ein Typ im Publikum schwenkte dazu eine „Kein Bock auf Nazis“-Fahne. Damit sollte klar sein, welche Haltung STOMPER 98 in der aktuellen Situation des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der mit den Hufen scharrenden Faschisten einnimmt. Gegen Ende wurde das leicht umgedichtete Sesamstraßenlied „Alle haben Bier gern“ vom ersten Album entmottet, obwohl Sebi meines Wissens längst alkoholfrei lebt. Aber gibt ja auch Jever Fun und Konsorten!

Apropos Bier: Je später der Abend, desto mehr glich der Konzertsaal einem Scherbenmeer, da der Bahnhof Pauli kein Pfandsystem hatte und es kaum Möglichkeiten gab, seine leeren Pullen irgendwo abzustellen. Aber das nur am Rande. Leider endete der starke Gig, ohne dass mein Lieblingslied vom aktuellen Album, „Achtundneunzig Nächte“, gespielt worden wäre. Damit, dass dieser Kracher unbedingt in Liveset gehört, lag ich Gitarrist Tommi anschließend noch in den Ohren, bevor’s auf ein bis drölf Absacker ins St. Pauli Eck ging. War ein schönes Konzert, das aber eigentlich in eine Szene-Location wie das Monkeys gehört hätte! Vielleicht ja nächstes Mal?

08.03.2024, Hamburg, Monkeys Music Club: LOIKAEMIE + HARBOUR REBELS

Nachdem ich während der Pandemie die Plauener ‘90er-Jahre-Oi!-Punk-Veteranen LOIKAEMIE auf einem Reunion-Open-Air gesehen hatte (bereits damals zusammen mit den HARBOUR REBELS), war mir klar, dass die’s noch draufhaueben. Hinsichtlich eines neuen Albums war ich aber eher skeptisch, da ich mit der selbstbetitelten Platte aus dem Jahre 2007 nicht mehr allzu viel hatte anfangen können. Umso positiver überrascht war ich vom neuen Langdreher „Menschen“, der jetzt betourt wird. Das für Samstag, den 9. März anberaumte Konzert im Monkeys war ratzfatz ausverkauft, und ich war etwas perplex, als ich realisierte, dass es dem Zusatzgig, der auf den Freitag gelegt wurde, ähnlich erging. Per Kommentarspalte auf Facebook gelang es mir am Freitagabend aber glücklicherweise noch, kurzfristig eines der schicken Hardtickets zum Normalpreis zu ergattern.

Als einer von 350 zahlenden Gästen stellte ich mich brav an eine Einlassschlange, die man in diesem Ausmaß nun auch nicht alle Tage am Monkeys zu sehen bekommt. Als ich endlich meinen Stempel hatte, blieb aber noch Zeit für ein erstes Bierchen am Außentresen, den man für dieses Wochenende aufgebaut hatte und an dem man bereits mit subkultureller Musik beschallt wurde. Der lokale Opener HARBOUR REBELS hatte freundlicherweise gewartet, bis auch wirklich alle drin waren, um anschließend in Quartettgröße abzuliefern. Es war das erste Mal, dass ich sie seit dem Wegfall des in Punkrockrente gegangenen zweiten Gitarristen Benny zu viert sah – und muss der Band zugestehen, das ziemlich gut kompensiert zu haben. Soundlöcher o.ä. waren jedenfalls Fehlanzeige. Überhaupt war der Sound angenehm klar, sodass man Sängerin Jules deutsch- und englischsprachige Texte sehr gut verstehen konnte. Wie gewohnt sang sie sich ebenso kraftvoll wie melodisch durch die hier und da mit Offbeats abgeschmeckten Oi!-Punk-Singalongs mit Ohrwurmcharakter, und meine Favoriten „Raus aus dem Dreck“, „Die Masken sind gefallen“ und natürlich „Trunkenbold“ waren alle dabei. Sogar ‘ne Orgel kam zwischendurch zum Einsatz. Die Bude war voll und die Band wurde gebührend gefeiert. Klasse!

Bei LOIKAEMIE ging’s dann von der ersten Sekunde an richtig rund. Ich glaube, „Wenn wir alle so wären“ von der neuen Platte war die erste Nummer. Nach vorn fliegende Menschen landeten immer wieder in Basser Pauls Mikroständer, der auf die Bühne krachte. Leadgitarrist Edgar riss schon während des ersten Songs eine Saite, aber improvisierend spielte er weiter, um die gerade so schön hochgekochte Stimmung nicht abflauen zu lassen. Die altbekannten Klassiker mischte man mit den vielen Hits der aktuellen Langrille, die tatsächlich beinahe durch die Bank weg genauso gut anzukommen schienen wie die ollen Kamellen – was für die Beliebtheit des Albums spricht. „Nicht die Falschen hassen“, „Meins und nicht deins“, „Lasst uns rein“ usw. sind verdammt gute, reife und zeitgemäße Songs, die dem aktuellen Oi!-Punk zu wiedergewonnener Relevanz verhelfen. Ein wenig obskurer wurd’s mit „Uns’re Szene“ von der Split-EP mit SMEGMA, und mit am geilsten kamen die Hits vom dritten Album „III“ wie „Alles was er will“, „Rock ’n‘ Roller Johnny“, „Wir sind geil, wir sind schön…“, „Good Night White Pride“ und natürlich „Uns’re Freunde“. Letzterer wurde gegen Ende gezockt, als ich dann doch mal im Pub-Bereich eine dampfen gehen musste. Richtig feierlich wurd’s natürlich bei „Trinkfestigkeit“. Die Band hatte Sternburg-Export-Luftmatratzen aufgeblasen und warf sie nun ins Publikum, wo sie zum Crowdsurfen verwendet wurden. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber LOIKAEMIE schienen mir ziemlich lange zu zocken – und hielten dabei durchgehend die Stimmung weit oben.

Nachdem der letzte Akkord verklungen war, wollte ich mir endlich das neue Album mitnehmen, geriet dabei aber an die härteste Merchsau überhaupt: 22,- EUR fürs normale Vinyl, wovon er sich auch nicht runterhandeln ließ, und noch nicht mal mein Bier durfte ich abstellen, während ich meine letzten Kreuzer zusammenkratzte. Puh… Ich weiß, dass alles teurer geworden ist, gerade auch ein Luxusgut wie ‘ne Schallplatte, aber es hilft nix: Der Vinylpreisdeckel muss her! Bei 20 Öcken muss Schluss sein! Ampelregierung, mach dich mal nützlich! Naja, ein, zwei Absacker gönnte ich mir anschließend doch noch und sabbelte Unfug mit Freunden, bevor’s nach Hause ging. War mal wieder ‘ne richtig fette Party – danke an alle, die sie ermöglicht und dazu beigetragen haben!

02.03.2024, Lobusch, Hamburg: BOCKWURSCHTBUDE + NÖÖS + SOKO METTIGEL

Zwischen Mett und Wurscht

BOCKWURSCHTBUDE live in Hamburg, zusammen mit zwei lokalen Bands, an ‘nem Samstagabend inner Lobusch? Geil! Da lässt es sich doch prima in den Geburtstag der besseren Hälfte reinfeiern, zusammen mit unserem Berliner Besuch.

In der amtlich gefüllten Lobusch machte das Trio SOKO METTIGEL den Anfang, eine von zwei jungen Hamburger Bands an diesem Abend. Vor zwei Jahren ist das Debütalbum „Dienst nach Vorschrift“ mit deutschsprachigem Punkrock, der auch inhaltlich gen Hardcore-Punk tendiert, erschienen. Von den Inhalten kam live nun nicht so viel rüber, denn weder der Bassist noch der Gitarrist waren an ihren Mikros gut zu verstehen, obwohl es sich um gar nicht allzu kehliges oder gutturales Shouting handelte. Umso deutlicher zu vernehmen war das Schlagzeug, das selbst mir dann doch zu viel Uffta-Uffta fabrizierte. Besser gefiel mir die SOKO, wenn sie etwas den Fuß vom Gas nahm und der Drummer ‘nen normalen Beat dazu spielte. So oder so sehr rustikaler, angepisster, aber noch ausbaufähiger Punk, der auf den Studioaufnahmen besser klingt als live an diesem Abend. Das Publikum störte das aber wenig, vor der Bühne war einige Bewegung.

Noch jünger sind NÖÖS, die derzeit an jeder Steckdose spielen und auch gern kurzfristig einspringen, so auch hier für die ursprünglich eingeplanten, aber leider krankheitsbedingt verhinderten WHAT. NÖÖS sind hungrig und haben anscheinend immer Zeit und Bock, ihren Sound zwischen melodischem Hardcore- und Streetpunk mit englischen Texten unters Volk zu bringen. Trotzdem sah ich sie an diesem Abend erst zum zweiten Mal. Gegenüber dem Gig im Monkeys ist das Set um ein paar Songs gewachsen. Der Sänger macht immer noch gleichzeitig den Animateur, was manchmal etwas drüber wirkt, auf alberne Sperenzien wie eine Wall-of-death-Aufforderung verzichtete er diesmal aber dankenswerterweise. Mit kräftiger Stimme sang und shoutete er sich bei nun hörbar besserem Sound durch die Songs, darunter der kleine Hit „Baptized in Blood“, zu dem NÖÖS ein überraschend professionelles Video gedreht haben, und das LOIKAEMIE-Cover „Good Night, White Pride“. Letzteres wurde zusammen mit „Attack Attack“ (oder so, kein TROOPERS-Cover) einfach noch mal hinten drangehängt, diesmal dann auch mit allen Drumbreaks fehlerfrei durchgeholzt. Überzeugender Gig, der von den Anwesenden entsprechend goutiert wurde.

BOCKWURSCHTBUDE aus Frankfurt anner Oder hatte ich noch nie livegesehen, und auch wenn ich ein älteres Album im Schrank habe, rangierten die mit ihrer eher simpel gezockten Mischung aus Deutsch-, Fun- und Oi!-Punk bei mir – im Gegensatz zu einer aus Lübeck angereisten Fanclub-Clique – eher unter ferner liefen. Dies änderte sich mit dem aktuellen Langdreher „Sippenhaft“ und mit dem Einstieg des CHAOS-Z/FLIEHENDE-STÜRME-Düsterpunk-Urgesteins Andreas Löhr. Das Ding ist ‘ne Hammerscheibe mit, passend zum Zeitgeschehen, vornehmlich ernsten Inhalten geworden, intoniert mit gleich zwei versiert aufspielenden Klampfen und dargereicht von Mikro Mostrichs giftigem Gesang. Eröffnet wurde das Liveset mit dem Klassiker „5 Minuten“, meinem Favoriten unter den alten Songs. Weitere alte Hits waren der Anti-Hamburger-Schule-Song und die von den vor der Bühne Alarm machenden Fans herbeigesehnte und inbrünstig mitgesungene Schwarzfahrhymne „Blackriding Underground“. Am stärksten aber waren die zahlreichen aktuellen Songs von der „Sippenhaft“, von denen ich keinen speziell hervorheben will. Andreas zockte ‘nen fetten Bass dazu und beteiligte sich an den Backgrounds, bevor er für die letzte Zugabe Position und Instrument mit Mostrich tauschte und den CHAOS-Z-Klassiker „Duell der Letzten“ zum Besten gab. Das war dann der gänsehautverursachende Schlusspunkt eines fantastischen Gigs einer unheimlich gut gereiften Band. Knaller! Und dann hatte die Liebste auch schon Geburtstag.

P.S.: Beim Verfassen dieser Zeilen wurden zwei (vegetarische) Bockwürschte verzehrt. Mit Senf!

28.02.2024, Markthalle, Hamburg: U.D.O. + PRIMAL FEAR

Udo Dirkschneider, „der kreischende Tarnanzug“, gastierte im Rahmen der Tour zum neuen Album „Touchdown“ in der Markthalle. Ich bin ja Fan der klassischen ACCEPT-Alben mit Udo am Mikro seit seligen Kindheitstagen, hatte aber nie die Gelegenheit, die Band in dieser Konstellation live zu sehen. Ein richtiger Fan seines Soloprojekts, mit dem er es mittlerweile auf sage und schreibe 19 Studioalben bringt, war ich hingegen nie so ganz, wenngleich das Debüt ein Knaller war und sich auch auf den Folgealben manch Hit findet, der in meinen Playlists gelandet ist. Nebenbei hat der umtriebige Mann auch noch weitere Projekte laufen – da lebt jemand ganz für die Musik, und das in Vollzeit. Den Tarnanzug hat er schon lange abgelegt, seine charakteristische Reibeisenstimme hingegen nicht.

Dass auf einem Mittwochabend die Show bereits lange vorher ausverkauft sein würde, hat mich dann aber doch überrascht. Also bin ich auf gut Glück nach Feierabend einfach mal hin. Die Schlange am Einlass staute sich fast bis zur Kreuzung, jeweils flankiert von Leuten, die ebenfalls Karten suchte. Als ich vom anderen der Ende der Schlange bereits wieder auf dem Rückweg war, vernahm ich ein „Braucht noch jemand ‘ne Karte?“ aus der Menge und ich traute meinen Ohren kaum. Ich rief: „Brauchen? Oder Suchen?“„Brauchen!“, schallte es zurück, und der Verkäufer stand sofort direkt vor mir. Sein Kumpel sei leider krankgeworden, daher habe er eine Karte über. Würde er mir für ‘nen Zwanni überlassen. Bei einem ursprünglichen Preis von 40 Öcken! Da er nicht anders auf meinen Schein herausgeben konnte, wurden zwar noch 25,- daraus, ich habe mich aber natürlich trotzdem tierisch gefreut – danke noch mal!

Also auf in die volle Bude und erst mal der Vorband lauschen: PRIMAL FEAR aus BaWü, liebevoll „die Primeln“ genannt, seit Ende der 1990er am Start. Gegründet wurde die Band von Mat Sinner (SINNER) und Ralf Scheepers, der zuvor bei TYRAN‘ PACE (kenne ihn als Sänger daher ebenso wie Udo im Prinzip seit meiner Kindheit) und GAMMA RAY gesungen hatte. Es heißt, er habe GAMMA RAY verlassen, um bei JUDAS PRIEST vorzusingen, die damals nach Rob Halfords Ausstieg auf Sängersuche waren. Das eigentlich Kuriose daran ist, dass er nicht genommen wurde, denn der Mann mit der Schiffschaukelbremserstatur kommt Halfords Gesangsstil doch ziemlich nah und beherrscht auch die höchsten Kopftöne spielerisch. Wie auch immer, ‘90er-Jahre-Power-Metal ist nicht mein Ding und sonderlich intensiv beschäftigt habe ich mich mit PRIMAL FEAR bisher nicht. Aufhorchen lassen hatte mich aber das vorletzte Album „Metal Commando“ aus dem Pandemie-Jahr 2020, das eine ganze Reihe starker Songs aufweist, wie sie auch mir gefallen. Leider ist Mat Sinner von seiner schweren Erkrankung offenbar noch nicht wieder so weit genesen, dass er zu touren in der Lage wäre, sodass er live am Bass ersetzt wird. Der Sound war zunächst mies – vermutlich der im Gegensatz zum Soundcheck vollen Halle geschuldet –, wurde aber bald besser. Als Opener peitschte man den dreisten JUDAS-PRIEST-Rip-Off „Chainbreaker“ durch, der immerhin ordentlich Dampf machte. Im weiteren Verlauf war mir das dann ehrlich gesagt zu viel Teutonen-Stampf-Metal zum Mitklatschen – wozu die Band auch immer wieder animierte. Scheepers hatte ‘ne Extraportion Hall- und Echoeffekte auf seinem Gesang, lieferte aber – wie die gesamte Band – souverän ab. Von meinen persönlichen Hits des „Metal Commando“-Albums wurde leider gar nichts gespielt, und „Another Hero“ von der aktuellen Langrille mag ich trotz gelungener Gesangsmelodie nicht mitsingen, denn wenn nach einem Erlöser verlangt wird, der uns den Weg aus dem Chaos weist, schaudert’s mich. Nach ca. 75 Minuten war dann Schluss, ohne dass ich zum Fan mutiert wäre.

Aber ich war ja wegen U.D.O. hier! Udo konnte seine Band jüngst um seinen alten ACCEPT-Kollegen Peter Baltes, einen weiteren Helden meiner frühen Metal-Sozialisation, verstärken, und der ist unlängst in einen Jungbrunnen gefallen – der Mann altert einfach nicht. Der Rest der Band ist deutlich jünger. Udos Sohnemann Sven an der Schießbude ist ein richtig geiler Drummer geworden, der zudem permanent die Stöcke hochwirft oder zwischen den Fingern wirbelt. Die beiden Gitarristen sahen in ihren Outfits und mit ihren Frisuren zwar etwas gewöhnungsbedürftig aus, waren spielerisch aber über jeden Zweifel erhaben und wurden für ihre auch mal ausgedehnteren Soli stets nach vorn in die Bühnenmitte gelassen, während Udo sich zurückzog, um ihnen die Show zu überlassen. Die Lightshow tauchte die Bühne immer mal wieder in das kühle Blau vom Artwork des aktuellen „Touchdown“-Albums, was schon schnieke aussah. Und die Mucke? Klang, ähnlich wie bei der Vorgruppe, beim ersten Song „Isolation Man“ noch gar nicht mal so gut, wurde aber schnell nachgeregelt. Von „Touchdown“ schafften es noch drei weitere Nummern ins Set, wobei der Titelsong sich auch live als veritable Abrissbirne entpuppte. Mit „Animal House“, dem balladesken „In The Darkness“ und „They Want War” waren drei Stücke des von mir favorisierten Debüts vertreten. Insgesamt fanden 20 Songs von 14 Alben Berücksichtigung, darunter als letzte Zugabe QUEENs „We Will Rock You“, das Udo für seine Solo-Scheibe gecovert hatte, in einer Mischung aus der schnellen und der populäreren Version. Von meinen persönlichen U.D.O.-Hits fand sich insgesamt eher wenig, dafür habe ich aber zum Beispiel „Pain“ durch die Live-Darbietung für mich entdeckt. Und dass man keine ACCEPT-Songs mehr live spielen würde, hat man offenbar ernstgemeint. Geht für mich klar, über ein „Balls to the Wall“ hätte ich mich aber trotzdem nicht beschwert. Alles in allem war’s eine schöne Erfahrung, olle Udo sogar zusammen mit Peter mal live zu sehen – und das begeisterte, nicht nur Refrains, sondern auch die eine oder andere Melodie von Udo dirigiert mitsingende und altersmäßig gut durchmischte Publikum dürfte es ähnlichgesehen und -gehört haben.

Ach, und da ich bei der Sause mit vier lokalen Underground-Bands im Bambi am Wochenende zuvor gesundheitsbedingt passen musste, war das dann tatsächlich mein erstes Konzert des noch jungen Jahres…

22.12.2023, Indra, Hamburg: St. Pauli Punk Festival #3 mit PSYCH OUT + DISILLUSIONED MOTHERFUCKERS + G31 + BULLSHIT BOY

Diese Veranstaltung stand unter keinem wirklichen guten Stern. Während die ersten beiden von Bitzcore-Juergen durchgeführten Ausgaben mit großen Namen oder einer kultigen Oldie-Punk-Fraktion auftrumpfen konnten, wirkte das Indra diesmal leicht überdimensioniert. Der Vorverkauf war schleppend und als kurzfristig auch noch ASTRA ZOMBIES und – noch kurzfristiger – RESTMENSCH absagten und auch BULLSHIT BOY von der krass grassierenden Krankheitswelle erwischt wurden, stand das Ding sogar komplett auf der Kippe. Als Hoffnungsschimmer erwies sich, dass PSYCH OUT von einem Tag auf den anderen als Ersatz gewonnen werden konnten und BULLSHIT BOY sich bereiterklärten, statt als Trio kurzerhand als Duo aufzutreten. Die Parole lautete also: Durchziehen!

Beim Ausloten, wer wann spielen soll, erinnerten wir uns an unseren Schwur, uns nicht mehr bis nach hinten durchreichen zu lassen und verteidigten damit zumindest den dritten Slot. Eine Premiere für uns war, wie alle Bands dieses Abends über Kemper-Amps zu zocken, den Gitarren- und Basssound also aus fertigen Simulations-Presets auszuwählen, statt den erprobten Klang am eigenen Verstärker einzustellen. Dieser wurde dann auch nicht wie üblich über Bühnenboxen abgenommen, wir hatten also lediglich Monitore auf der Bühne. Einer der Gründe hierfür war, dass alle Auftritte auf 24 Spuren mitgeschnitten und den Bands anschließend zur Verfügung gestellt wurden. Eigentlich sollte nur die erste Band ‘nen richtigen Soundcheck machen und die anderen lediglich ‘nen Line-Check direkt vorm jeweiligen Gig bekommen. Da die erste Band aber nur aus zwei Leuten (Gitarre/Schlagzeug) bestand, ging der Plan nicht ganz auf.

Egal, die für diesen Abend zum Duo geschrumpften BULLSHIT BOY machten vor mittlerweile dann doch gar nicht so rar erschienenem Publikum den Anfang und mussten auf ihre Bassistin verzichten. Sängerin/Gitarristin Sabine und Drummer Carsten begannen mit ‘ner coolen Instrumental-Surfnummer, dem das punk’n’rollige „The World is on Fire“ folgte. Mit ‘nem Song über (keine) Mandelhörnchen auf Helgoland kann ich persönlich nun weniger anfangen, mit dem BLONDIE-Cover „One Way or Another“ dafür schon mehr, ebenso mit dem schön aggressiven „The Pressure is on“ von der noch zu veröffentlichenden Single. Der größte Hit war vermutlich „Pretty Boy“ und am Schluss gab’s mit „Bodies“ von den SEX PISTOLS ‘ne weitere Coverversion. Der Mix aus deutsch- und englischsprachigen Punkrocks-Songs machte Laune, war ein guter Opener – wenn auch die Abwesenheit des Basses sich in einem zeitweise etwas dünnen Sound bemerkbar machte. Aber wat willste machen?

G31 um Sängerin Mitra und „Mind The Gap“-Fanziner Captain haben bereits ihr zweites Album „Die Insel der versunkenen Arschlöcher“ veröffentlicht, flogen bisher aber weitestgehend unter meinem Radar. Gesehen hatte ich sie bisher nur einmal kurz bei der Jede-Band-spielt-nur-Fünf-Minuten-Sause im Störtebeker und das ist schon wieder verdammt lange her. Damals konnten sie mich nicht überzeugen, was sich heute Abend ändern sollte. Mittlerweile hat sich die Band um Peter von u.a. ANTIKÖRPER, LEISTUNGSGRUPPE MAULICH und zahlreichen weiteren HH-Punkbands verstärkt und zockt mit zwei Klampfen schöne Pogoriffs und eingängige Licks, die die Rhythmussektion gut nach vorne peitscht. Mitra legt mit ihrem kräftigen Organ melodischen Gesang zwischen klar und rotzig darauf, der durchdachte, deutschsprachige Texte mit durchaus klischeefreien, originellen Ansätzen formuliert, bewegt sich dazu zum Tanz auffordernd bis lasziv und kokettiert mit ihrem selbstbewussten weiblichen Charme. G31 brachten gut Stimmung in die Bude und haben mich sehr positiv überrascht, wenn auch Monitorprobleme der Band zu schaffen machten und der Bass bis zum Schluss leider viel zu leise war.

Nun galt es, meine nicht mehr ganz nüchternen Bandkollegen zusammenzutrommeln, den Umbau möglichst rasch hinter uns zu bringen und Mischer Andy möglichst noch ‘nen Soundcheck unterzujubeln. Das klappte so semi, denn während des Gigs in ungewohntem Bühnenaufbau (s.o.) stellte sich bald heraus, dass ich anscheinend der Einzige war, der mit seinem Monitorsound wirklich gut klarkam. Die Konsequenz waren über den Gig verteilte verpatzte Einsätze und Asynchronitäten, die uns sicherlich weit mehr auffielen als denjenigen, die vor der Bühne für Bewegung sorgten; immerhin waren wir angetrunken genug, uns davon nicht verunsichern zu lassen. Während „Wænde“ bei seiner Premiere auf dem Gaußplatz noch gut flutschte, verkackten wir ihn diesmal doch ziemlich. Nachdem wir ihn direkt nach dem Einstieg abbrechen mussten, höre ich mich auf der Aufnahme sagen: „So, das war das Intro. Jetzt kommt der eigentliche Song. Kurze Trinkpause. Prost.“ Einfach das Beste daraus machen! Bei „Elbdisharmonie“ schleuderte ich versehentlich mein Mikro von der Bühne, „Spaltaxt“ klang etwas arg schräg usw… Besser liefen da „Blutgrätsche“, den wir bei G31-Peter kürzlich für einen geplanten HH-Punk-Sampler im Studio aufgenommen haben und bei dem er uns auf der Bühne gesanglich unterstützte, sowie die ebenfalls recht neue Nummer „Phoenix aus der Flasche“. Die im unmittelbaren Anschluss – und damit als Abschluss – geplante Livepremiere eines brandneuen Songs sparten wir uns daher besser und räumten die Bühne für PSYCH OUT. Auch wenn die Leute offenbar ihren Spaß hatten, als Fazit für uns nehmen wir mit: Kemper-Amps einmal und nie wieder, und wenn wir schon keine Bühnensound-Boxen haben, müssen wir uns die Zeit für ‘nen ordentlichen Monitor-Soundcheck nehmen.

Völlig wumpe war all dies PSYCH OUT um HH-Punk-Urgestein Holli, Stoffel von YACØPSÆ (und seit einiger Zeit auch RAZORS) sowie den rauschebärtigen Shouter Lars, die knapp 20 Songs in gefühlt genauso vielen Minuten durchschrubbten, bei denen es Lars eher selten auf der Bühne hielt. Auch diese Band kannte ich eigenartigerweise bisher lediglich vom Fünf-Minuten-Gig im Störtebeker anno schießmichtot. Ultrapräzise ballernder Fast- und Oldestschool-US-Hardcore erfreute Kenner(innen) und Genießer(innen) der groben Kelle, die fortgeschrittene Stunde hingegen schien den/die eine(n) oder andere(n) Besucher(in) vertrieben zu haben; die Reihen hatten sich jedenfalls leider gelichtet. Songs wie „Take This Shit And Burn It Down“, „Fuck Your Scene”, „Humanity/Bullshit” oder das HASS-Cover „Ihr Helden” waren für mich der perfekte Abschluss des Abends, der noch bei ein, zwei Bierchen im Backstage-Bereich ausklang.

Danke an alle, die den Abend unter (in erster Linie krankheitsbedingt) widrigen Umständen doch noch zu ’ner geilen Party gemacht haben sowie an Dr. Martin für die Fotos unseres Gigs! Und ‘n Extraküsschen aufs Nüsschen an unseren Ex-Drummer Dr. Tentakel, der unser Merch betreute!

10.12.2023, Bambi Galore, Hamburg: CHRIS HOLMES + HARSH

Blind in Billstedt

In letzter Zeit habe ich irgendwie dann doch (wieder) Spaß an den alten Gassenhauern der US-Sleaze-Show-Metaller W.A.S.P. gefunden, vor allem, seit ich mir kürzlich das „Live at the Lyceum, London“-Video mit einer frühen Liveshow aus der Mitte der glorreichen ‘80er angesehen habe. Die Band existiert noch immer, wenngleich es sich seit geraumer Zeit eher um ein Soloprojekt das Bandkopfs Blackie Lawless handeln dürfte. Auf ein Konzert des unlängst zum „wiedergeborenen Christen“ mutierten Lawless, sprich: auf Playback in irgendwelchen Kackläden, habe ich trotzdem keinen Bock. Manchmal schätze ich die Encyclopaedia Metallum doch sehr für ihre ebenso einfachen wie präzisen Angaben. So findet sich bei W.A.S.P. der Eintrag: „Sex, Party (early); Society, Anti-religion (mid); Christianity, Politics (later)” – das fasst das Œuvre der Band gut zusammen. Eine Show des ehemaligen Gitarristen Chris Holmes, mittlerweile sein Soloprojekt betreibend und auch schon 65 Lenze zählend, reizte mich da schon eher, zumal mir setlist.fm im Vorfeld verriet, dass er üblicherweise eine ganze Reihe alter W.A.S.P.-Kracher zockt. Als ich sah, dass er an einem Sonntag im gemütlichen Billstedter Metal-Club gastieren würde, besorgte ich mir ein Ticket für ‘nen fairen Zwanni und war gespannt, was mich erwarten würde.

An diesem feuchten Adventsabend schienen sich zunächst einmal nicht allzu viele Freundinnen und Freunde der verzerrten E-Gitarre aufzuraffen und so war es beim Opener HARSH aus Frankreich noch sehr übersichtlich. Vor über’n Daumen gepeilt 20 Nasen (inkl. meinem Bandkollegen Holler und meiner Wenigkeit) erfüllten sich meine Befürchtungen: Vier Poser, von denen insbesondere der Frontmann das Haupthaar „schön“ hatte, zockten schlüpferstürmenden Glam-Hardrock/-Metal, von dem ungefähr die Hälfte von Skid Row, Guns N‘ Roses und wat weiß ich wem zusammengeklaut klang. Trotz Vorband-Status lieferten sich beide Klampfen zwischendurch ein Solo-Battle und zusammen mit jemandem, der sich später als Chris Holmes‘ Sänger und Bassist herausstellen sollte, als Gast-Duettpartner coverte man MICHAEL SEMBELLOs ‘80er-Pop-Klassiker „Maniac“. Gegen Ende des Sets wanderte das HARSH-Frisurenwunder mit seiner Klampfe durchs Publikum und gab sich als Plüschrocker zum Anfassen. Der Gig war insofern ok, als man sich nicht die Ohren zuhalten musste; außerdem dürfte sich heutzutage kaum noch jemand aus geschäftlichen Gründen diesem einst kommerziell so einträchtigen Stil verschreiben, sondern mit einer gewissen ehrlichen Leidenschaft agieren – nur macht das die Mucke leider nicht besser. Not my cup of pee. Umso überraschter war ich vom letzten Song, einem besonders auf der Gitarre und an den Drums sehr kompetent gezockten „Johnny B. Goode“-Cover. Gut, auch daraus haben JUDAS PRIEST in den ‘80ern noch etwas Eigenes gemacht, ein versöhnlicher Abschluss war’s dennoch.

CHRIS HOLMES stieg direkt mit dem W.A.S.P.-Klassiker „On Your Knees“ ein, wie alle Songs seiner ehemaligen Band gesungen von seinem Bassisten (der mit dem „Maniac“-Gastspiel zuvor). Der hat diese Blackie-Lawless-eigene Mischung aus dreckig und klagend zwar nun nicht gerade in der Stimme, ist aber ein wirklich guter, melodischer Sänger, der in den Refrains von Holmes‘ Geknurre unterstützt wird. Beinahe müßig zu erwähnen, dass ich – wie auch bei allen weiteren herrlich eingängigen Refrains des Sets – frohlockend mitsang. Schon nach den ersten drei Songs gönnte sich Holmes‘ einen kleinen Gitarrensolo-Slot, ohne es dabei mit dem Gegniedel zu übertreiben. Die Stimmung stieg und auch vor der Bühne verdoppelte sich die Anzahl der Gäste rasch. Trotz Miniclub und eher spärlichem Sonntagspublikum wirkten Holmes & Co. motiviert – und lieferten ab: Zu geilen Eigenkompositionen wie „The Devil Made Me Do It“ oder „Born Work Die“, von Holmes mit schön dreckiger, rauer Stimme dargeboten, gesellten sich W.A.S.P.-Hits aus der „Sex, Party (early)“-Phase von „L.O.V.E. Machine“ und „Sleeping (in the Fire)“ über „Blind in Texas“, bei dem ich endgültig beschloss, mich zu betrinken (Holmes hingegen hielt sich an einer Wasserflasche gütlich), bis hin zu „Wild Child“ und „Animal (Fuck Like a Beast)“. Das hielt die Party am Laufen und war tatsächlich der große Spaß, den ich mir erhofft hatte. Nur „I Wanna Be Somebody“, einen der größten W.A.S.P.-Hits, hatte ich am Schluss noch erwartet, doch der blieb aus. Möglicherweise ist der gar nicht von Holmes komponiert…? Stattdessen gab’s NEIL YOUNGs „Rockin‘ in the Free World“ als perfekt in die Zeit passenden Abschluss, dem, so meine ich mich zu erinnern, auch ein paar deutliche Worte an die Diktatoren dieser Welt vorausgingen und für den sich Mitglieder von HARSH noch einmal auf der kleinen Bühne einfanden, um mitzuträllern. In dieser Form bleibt uns der dichttätowierte Hüne, der einst wenig vorteilhaft betrunken und dekadent im Swimmingpool innerhalb der „The Decline of the Western Civilization, Part II: The Metal Years“-Doku porträtiert wurde, hoffentlich noch lang erhalten – denn mit dem weltfremd wirkenden L.A.-Rockstar von damals scheint der mittlerweile in Frankreich lebende Holmes nicht mehr viel gemein zu haben – außer dem Gespür für geile Riffs und Licks sowie ins Ohr gehende Singalongs.

P.S.: Den Dokumentarfilm „Mean Man – The Story of Chris Holmes” muss ich mir mal vormerken…

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